Kaltes Grab
Klemens’ Tod begreifbar machte. Die einzige Möglichkeit, einem sinnlosen Tod nachträglich einen Sinn zu verleihen.«
Cooper horchte auf den Papagei in der Zimmerecke, der mit den Krallen an den Gitterstangen seines Käfigs rüttelte.
»Seltsam, dass die Geschichte gerade jetzt wieder hochkommt«, sagte Lukasz. »Es widerspricht eigentlich dem Geist von Oplatek.«
»Wie bitte?«
»Oplatek ist unser traditioneller Anlass des Vergebens und der Versöhnung, die durch das Essen der Oplatki- Waffeln symbolisiert werden. Und an diesem Sonntag wird das Oplatek- Festmahl für die polnische Gemeinde von Edendale abgehalten, unten im Dom Kombatanta, dem Veteranen-Club. Es ist einer der Höhepunkte in unserem Kalender. Meinem Vater bedeutet es sehr viel.«
Cooper hatte noch nie von diesem Fest gehört. Er konnte sich nicht einmal vorstellen, wie man das Wort buchstabierte. Vergebung und Versöhnung? Nun ja, in dieser Hinsicht gab es zweifellos einiges zu tun.
»Kennen Sie einen George Malkin?«, fragte Cooper.
Lukasz runzelte die Stirn. »Malkin? Sollte ich ihn kennen? In welchem Zusammenhang? War er auch bei der Royal Air Force?«
»Nein. Er stammt von hier. Er wohnt in der Nähe der Absturzstelle.«
»Tut mir Leid, aber der Name sagt mir überhaupt nichts.«
Widerstrebend reichte ihm Cooper die Fotografie zurück. »Es waren mutige Männer«, bemerkte er.
Lukasz lachte. »Das sagen alle. Jedenfalls alle, die nichts damit zu tun hatten. Mein Vater sagt das nicht. Er meint, keiner von ihnen sei mutig gewesen, sondern all das habe überhaupt nichts mit Mut zu tun gehabt. Seiner Ansicht nach haben sie einfach ihr Bestes gegeben, weil sie eine Mannschaft waren, und es wäre unmöglich gewesen, auch nur im Traum daran zu denken, seine Kameraden im Stich zu lassen. Sie haben einander sehr nahe gestanden, verstehen Sie, und die Umstände haben sie noch enger zusammengeschweißt. Unsere Generation kann nur schwer nachvollziehen, wie nah sie einander waren.«
»Vielleicht waren sie wie eine Familie. Es ist immer schrecklich, wenn in einer Familie etwas passiert. Es kommt einem wie ein Verrat vor.«
»Ja. Aber heutzutage stehen sich nicht einmal mehr Familienmitglieder so nahe. Fragen Sie meinen Sohn.«
»Ihren Sohn?«
»Andrew. Er wohnt jetzt in London, aber er hat uns erst kürzlich besucht.«
»Ist er immer noch da?«
»Nein, er war nur zu Besuch.«
»Wann haben Sie sich von ihm verabschiedet?«
Lukasz schien zu zögern. »Er ist seit Sonntag weg«, sagte er.
»Wollte er direkt nach London zurück?«, fragte Cooper. »War er mit dem Auto unterwegs, oder ist er mit dem Zug gefahren? Bei dem Schnee war es mit dem Auto bestimmt nicht einfach.«
Es war Grace Lukasz, die antwortete. Sie war unbemerkt hereingerollt und hatte der Unterhaltung gelauscht, als hätte sie der Name ihres Sohnes magisch angezogen.
»Er ist mit dem Taxi gekommen. Und wir haben uns auch nicht von ihm verabschiedet«, erklärte sie.
»Aha. Warum nicht?«
»Ich hatte am Sonntagabend Dienst im Krankenhaus«, erwiderte Lukasz. »Wie gesagt, arbeite ich in der Notaufnahme. Als ich nach Hause kam, war Andrew schon weg.«
»Hatten Sie vielleicht Streit?«, erkundigte sich Cooper. Bei dieser Frage sahen die Eheleute Lukasz betreten aus. »So was kommt in jeder Familie vor, ich kenne das.«
»Andrew ist weggegangen, ohne sich von uns zu verabschieden«, sagte Grace Lukasz.
Cooper blickte auf die Schneehaufen, die sich draußen am Straßenrand türmten. Die Auspuffgase der Autos und der Ruß der Zentralheizungen färbten den Schnee allmählich schwarz. Was nicht gerade für die Luftqualität des Crescent sprach.
»Mrs Lukasz, wollen Sie damit sagen, dass Ihr Sohn einfach verschwunden ist?«
»Gewissermaßen, ja.«
»Hatte er Gepäck bei sich?«
»Ja, selbstverständlich.«
»Haben Sie ihn als vermisst gemeldet?«
»Er ist nicht vermisst«, sagte Peter Lukasz. »Er ist ein bisschen überstürzt abgereist, nichts weiter. Ich nehme an, dass ihn jemand abgeholt hat. Ein Taxi oder sonst jemand.«
»Er hat versprochen, dass er mich anruft«, sagte Grace. »Ich habe schon ein paarmal bei ihm zu Hause in London angerufen, aber es springt immer nur der Anrufbeantworter an. Er hat gesagt, seine Frau ist in Amerika, und seine Handynummer haben wir nicht.«
»Wahrscheinlich hat er etwas Dringendes zu erledigen«, sagte Peter. »Andrew ist Bezirksverkaufsleiter einer Firma für Sanitätsbedarf.«
Cooper wurde allmählich wütend. Manche Menschen
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