Kaltes Grab
konnten nur schwer akzeptieren, dass eine Tragödie in ihr eigenes bequemes Leben eingebrochen war.
»Würden Sie mir Ihren Sohn bitte beschreiben? Wie alt ist er? Wie groß? Hat er dunkles oder helles Haar? Was hat er angehabt?«
»Also, Andrew ist dunkelhaarig, wie ich«, sagte Peter Lukasz. »Er ist zweiunddreißig. Was er anhatte, weiß ich nicht. Warum wollen Sie das wissen?«
Aber seine Frau war bereits blass geworden. »Der Tote, der am Snake Pass gefunden wurde«, sagte sie. »Aber das ist doch der Mann, der am Montag bei uns geklingelt hat, oder nicht?«
»Meinen Sie?«
Die beiden starrten ihn wortlos an. Ein feiner Schweißfilm glitzerte auf Peter Lukasz’ Stirn. Inzwischen war es wohl auch ihm zu warm geworden.
»Ich muss Sie leider bitten, mit mir zu kommen und … ihn sich anzusehen«, sagte Cooper. »Vielleicht können Sie uns helfen, ihn zu identifizieren.«
Grace Lukasz schüttelte den Kopf. »Aber das ist nicht Andrew«, widersprach sie. »Sie wollen doch nicht etwa andeuten …?« Sie lachte kurz auf. »Ich kenne doch meinen eigenen Sohn.«
Peter Lukasz schien erst jetzt begriffen zu haben. »Das ist doch lächerlich«, sagte er. »Absolut lächerlich. Aber ich komme mit, wenn es dazu beiträgt, Ihnen diese alberne Idee auszureden.«
»Vielen Dank, Sir. Trotzdem brauchen wir Sie beide. Ihre Frau ist die Einzige, die den Mann an Ihrer Haustür gesehen hat.«
Cooper machte sich zum Aufbruch bereit. Lukasz brachte ihn zur Tür, blieb aber in Hausschuhen auf der Schwelle stehen. Er sah aus, als wollte er noch etwas sagen, aber Cooper hatte keine Ahnung, was er ihn noch fragen könnte.
»Wie lange arbeitet Ihr Vater schon an seinem Bericht?«, fragte er schließlich.
»Ungefähr eine Woche.«
»Ach ja? Was hat ihn dazu veranlasst, ausgerechnet jetzt damit anzufangen?«
»Oh, ich glaube, es hat damit zu tun, dass er weiß, dass er bald sterben muss«, sagte Lukasz. »Er hat Leberkrebs im fortgeschrittenen Stadium, und mittlerweile kann man nicht mehr für ihn tun, als die Schmerzen in Schach zu halten. Man hat uns gesagt, dass er nur noch ein paar Monate zu leben hat.«
Ben Cooper stand im Büro der Kripo, zog seinen Mantel aus und blickte auf seine Schuhe, die einmal schwarz gewesen waren, mittlerweile aber einen merkwürdigen Grauton annahmen. Er blätterte die neuesten Mitteilungen und Notizen auf seinem Schreibtisch durch und ordnete sie je nach Wichtigkeit einem der drei Stapel zu, eine Technik, die er in einem Zeit-Management-Kurs gelernt hatte. Wichtig und dringlich – wichtig, aber nicht dringlich – dringlich, aber nicht wichtig. In diesem Fall würde er sich nur mit dem ersten Stapel beschäftigen. Ziemlich weit unten im Stapel stieß er auf eine Telefonnachricht und las sie durch. Ihr Inhalt passte auf keinen der drei Stapel. Sie gehörte nicht einmal zu seinem Aufgabenbereich.
Also legte er sie beiseite, während er sich mit den wichtigen und dringlichen Aufgaben beschäftigte. Ein Staatsanwalt brauchte den Bericht über einen tätlichen Angriff, der gleich als Erstes am Montagmorgen verhandelt werden sollte; bei einer Familie in Edendale, bei denen er einen Einbruch aufklären sollte, war abermals eingebrochen worden, deshalb musste sie beruhigt werden; ein Superintendent wollte, dass er freiwillig bei einer Arbeitsgruppe zur Sicherheit auf Bauernhöfen mitarbeitete, und hätte schon gestern eine Antwort von ihm gewollt.
Diane Fry beobachtete Cooper bei seinem Ritual. Sie wusste nicht, woran es lag, dass er ihr mindestens genauso auf die Nerven ging wie Gavin Murfin. Murfin war dumm und faul, damit konnte sie umgehen. Cooper hingegen war weder das eine noch das andere.
»Du hast ziemlich lange für das Snake Inn gebraucht«, bemerkte sie.
»Tut mir Leid.«
»Ist dir eigentlich klar, dass wir hier auf dem Zahnfleisch kriechen?«
»Natürlich.«
»Ich verlange ja nicht, dass du schluderst«, sagte sie, »mir geht es nur darum, dass du deine Zeit möglichst effektiv nutzt. Also lass mich in Zukunft wissen, wo du bist, wenn du dich verspätest.«
»Diane, ich habe Peter und Grace Lukasz gebeten, den Schneemann zu identifizieren.«
Sie starrte ihn an. »Ach ja? Führst du diese Ermittlung jetzt auf eigene Faust durch?«
»Nein, aber …«
»Wie kommt es dann, dass du schon wieder bei den Lukasz’ warst? Gehörte das zu den Aufgaben, die du heute zu erledigen hattest?«
»Nein. Ich habe nur ein bisschen Eigeninitiative ergriffen.«
»Zwei Worte dazu: Lass
Weitere Kostenlose Bücher