Kaltes Grab
Besatzungsmitglieder müssen deren Habseligkeiten nach dem Unglück von der RAF bekommen haben. Jeder von ihnen hätte die Adresse Ihres Großvaters haben können.«
»Aber keiner von den anderen wohnte hier in der Nähe.«
»Dann sind Sie also fest davon überzeugt, dass Zygmunt irgendetwas damit zu tun hat?«
»Entweder das«, erwiderte sie, »oder mein Großvater lebt noch und wohnt hier in Edendale.«
In den Räumen der Kripo herrschte eine eisige Atmosphäre. Gavin Murfin war ganz grün im Gesicht, als hätte er endlich zu viel Chicken Tikka Masala gegessen. Als er Diane Fry hereinkommen sah, schaute er weg.
»Was ist denn mit Gavin los?«, fragte sie Hitchens. »Warum sieht er so elend aus?«
»Er hat in sämtlichen Vermissten-Akten nach dem Schneemann gesucht. Jetzt ist er endlich auf die Idee gekommen, die Beschreibung landesweit herauszugeben.«
»Und?«
»Er war ganz besonders gründlich und hat die Einzelheiten an alle Behörden geschickt. An alle.«
Murfin sah tatsächlich aus, als hätte er einen Schock erlitten. Seine Haare standen ab, als wäre er vor Aufregung mit fettigen Fingern hindurchgefahren.
»Hat denn eine Behörde eine Übereinstimmung gemeldet?«, fragte Fry.
»Ja. Und sie sind auch schon hierher unterwegs.«
»Wunderbar.«
»Glauben Sie, Diane?«
»Wenn jemand ein paar Leute übrig hat, die uns unter die Arme greifen, dann ist das doch wirklich wunderbar. Gut gemacht, Gavin.« Fry blickte in die Runde und bemerkte, wie nervös Gavin war. »Es ist doch nicht die RUC, oder? Sag jetzt bitte keiner, dass es nach all den Jahren wieder Ärger mit Nordirland gibt!«
»O nein«, sagte Hitchens. »Es ist nichts so Einfaches wie eine Hinrichtung mit terroristischem Hintergrund.«
»Was dann? Wen haben wir denn aufgescheucht? Eine der angrenzenden Dienststellen?«
»Nein. Eine Bundesbehörde.«
»Eine Bundesbehörde?« Fry zog die Stirn in Falten. »Sie meinen die Eisenbahnpolizei, Sir? Nicht? Doch nicht etwa die National Crime Squad? Die Staatssicherheit?«
»Denken Sie mal in Richtung Militär«, antwortete Hitchens. »Ministry of Defence Police, die interne Polizei des Verteidigungsministeriums. Noch heute kommen zwei Beamte der MDP hierher. Angeblich kennen sie unseren Schneemann. Sie glauben, es könnte einer von ihren Leuten sein.«
»Einer von ihren Leuten? Ein verschwundener Militärangehöriger?«
»Der Vermisste heißt Nick Easton. Und wenn ich sage, es ist einer von denen, dann meine ich es auch so. Sie sind in ungefähr einer Stunde hier, und das heißt, die fackeln in dieser Sache nicht lange. Und Sie, Fry, werden mit einer gewissen Sergeant Jane Caudwell zusammenarbeiten.«
Ben Cooper und Alison Morrissey teilten sich die Rechnung und verließen den Pub. Ein paar Minuten gingen sie schweigend nebeneinander her, bis sie das Flussufer erreicht hatten. Dieser Abschnitt des Flusses war mit unzähligen Wasservögeln bevölkert, die quakten, untertauchten, herumspritzten, sich zankten oder mit schief gelegten Köpfen die wenigen Spaziergänger auf den Uferwegen musterten. Ein altes Ehepaar unterhielt sich über den Unterschied zwischen Blesshühnern und Moorhühnern. Zwei Kinder stritten sich um das letzte Stück Brot und versuchten, es der Ente zuzuwerfen, die am weitesten entfernt war, während die Hunde von all dem Geflatter fast hysterisch wurden.
In der Nähe des Wehrs wurde das Wasser flacher, so dass man bis auf den Grund sehen und nach Fischen Ausschau halten konnte. Flöße aus vertrockneten Weidenblättern trieben auf der Oberfläche, trudelten sanft in ziellosen Kreisen und vermengten sich in Ufernähe zu einem dunklen Matsch. Ein paar Meter weiter stürzte das Wasser jäh über das Wehr. Das Schmelzwasser aus den Bergen hatte den Flusspegel ansteigen lassen, und der Wasserfall rauschte so heftig in die Tiefe, dass vereinzelte weiße Fontänen emporspritzten. Dann schäumte der Fluss weiter auf die Brücke zu, wo er einen alten Baumstamm überspülte, der sich am Ufer verkeilt hatte.
»Nicht nur mein Großvater war ein Held«, sagte Morrissey. »Auch Klemens Wach hat Bemerkenswertes geleistet. Als er nach Nottinghamshire kam, war er in Polen schon ein Held. Einer von denen, die bis heute unvergessen sind.«
»Wie meinen Sie das?«
»Wach wurde von der 305. Fliegerstaffel, der berühmten polnischen Einheit, nach Leadenhall verlegt.«
»Tatsächlich?«
»Klar. Steht in der Akte. Allem Anschein nach ist das in Polen eine geradezu legendäre
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