Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Kaltes Grab

Titel: Kaltes Grab Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Booth
Vom Netzwerk:
passiert ist.«
    »Ein Instinkt ? Nicht Neugier?«
    »Vielleicht. Ich weiß nicht, wie ich es sonst bezeichnen soll. Aber ich musste unbedingt wissen, was passiert war. Ich musste die Wahrheit herausfinden, und in gewisser Weise nicht nur wegen mir selbst, sondern auch wegen des anderen Kindes, das ohne Vater aufwachsen musste. Ich habe mir auch Gedanken über Zygmunt Lukasz und die Familie gemacht, die er vielleicht hatte. Ich kann es nicht erklären, warum mir diese polnischen und englischen Kinder überhaupt etwas bedeuten. Wenn ich vernünftig darüber nachdenke, weiß ich, dass die Bilder dieser Kinder, die ich mit mir herumtrage, nichts mit der Wirklichkeit zu tun haben. Ich weiß, dass sie inzwischen längst erwachsen sind. Aber ich habe festgestellt, dass ich allmählich angefangen habe, in einer Art Paralleluniversum zu leben, in dem sie so waren wie 1945. Deshalb habe ich gar nicht erst versucht, es jemandem zu erklären, nicht einmal meiner Mutter. Ich habe mich vor den vernünftigen Argumenten gefürchtet, die man mir entgegenhalten und die ich nicht entkräften könnte, die mich aber in meiner Entschlossenheit nur noch bestärken würden. Manche Leute – solche wie Sie zum Beispiel – halten mich auch so schon für zwanghaft. Ich wollte ihnen nicht die Gelegenheit geben, mich für verrückt zu erklären.«
    »Wenn Ihnen das lieber ist, nehme ich das mit der ›Zwangsvorstellung‹ wieder zurück.«
    »Nein, es ist mir egal. Wenn Ihnen dadurch klarer wird, wie entschlossen ich bin, kann es mir nur nützen.«
    »Aber das liegt alles so lange zurück …«
    »Ja, ich weiß. Die Zeit damals war so fremd, so feindselig. Man lernt den Frieden umso mehr zu schätzen. Es hat lange gedauert, bis mir klar geworden ist, dass es im England der Kriegsjahre fast alltäglich war, dass Flugzeuge vom Himmel fielen.«
    »Allein im Gebiet um den Dark Peak sind seit Beginn des Zweiten Weltkrieges über fünfzig Flugzeuge zerschellt.«
    Morrissey sah ihn erstaunt an. »Woher wissen Sie das?«
    »Ich habe ein Buch darüber gefunden«, sagte Cooper.
    »Wo denn?«
    »In einem Antiquariat hier in der Stadt. Eden Valley Books.«
    »Interessant. Dort muss ich unbedingt hingehen. Als Frank Baine mir diese Zahl genannt hat, konnte ich es kaum glauben. Auf der Landkarte sieht der Peak District so klein aus, ein paar Dutzend Meilen breit, eingezwängt zwischen zwei Großstädten. Und die Berge sind nicht einmal besonders hoch, kaum einer ist höher als tausend Meter. Wir sind hier schließlich nicht in den Rocky Mountains, Ben. Warum wurde ausgerechnet dieser Landstrich zum Friedhof so vieler Flugzeuge und ihrer Besatzungen?«
    »Einige wurden vom Feind beschädigt, manche sind aufgrund technischen Versagens abgestürzt, oder sie sind vereist und in der Luft zerborsten. Andere Abstürze sind auf Pilotenfehler oder mangelhafte Navigation zurückzuführen. Wenn die Maschinen bei schlechten Wetterbedingungen über ansteigendes Gelände fliegen mussten, wurde es schwierig.«
    »Sie haben Ihre Hausaufgaben wirklich gemacht. Passen Sie bloß auf, dass keine Zwangsvorstellung daraus wird.«
    Eine Gruppe Mittdreißiger kam herein, junge Männer, die von ihren Frauen in den Pub entlassen worden waren. Sie unterhielten sich lautstark und amüsierten sich offenbar über jemanden, der beim Kauf eines Gebrauchtwagens aus Dummheit Geld verloren hatte. Sie trugen Sweatshirts und ausgewaschene Jeans, deren Bund über den gewölbten Bäuchen abstand, und bestellten mit viel Tamtam irgendwelche Spezialbiere, die normalerweise nur von Touristen getrunken wurden, als orderten sie kistenweise erlesene Weine.
    »Dann stellte sich mir ein weiteres Problem«, sagte Morrissey. »Ich musste mich entscheiden, ob ich Kontakt mit den Verwandten der anderen Flieger aufnehmen sollte. Waren sie an meinen Informationen überhaupt interessiert? Ich hatte versucht, mich in ihre Lage zu versetzen. Ich hatte Bedenken, alte Wunden aufzureißen. Nur weil diese Wunden schon siebenundfünfzig Jahre alt sind, tun sie nicht weniger weh. Ich weiß das.«
    Cooper versuchte den Blick auf ihr ruhen zu lassen, sie zum Weiterreden zu ermuntern. Manchmal genügte das, um jemanden davon zu überzeugen, dass man ihm aufmerksam zuhörte. Aber wenn er ihr in die Augen sah, lenkte ihn das viel zu sehr ab, so dass er den Blick abwenden musste.
    »Zuerst schien es mir eine unmögliche Aufgabe«, fuhr sie fort. »Ich habe es einfach nicht geschafft, mich in diese Leute

Weitere Kostenlose Bücher