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Kaltes Grab

Titel: Kaltes Grab Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Booth
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hineinzuversetzen.«
    »Weil Sie so etwas noch nie selbst erlebt haben …«
    »Nein. Das war nicht der Grund. Es lag daran, dass es um Leute geht, die meinen Großvater für den Tod ihrer Verwandten verantwortlich machen. Schließlich kam ich zu dem Schluss, dass es für mich nur eine Möglichkeit gab, die Sache anzugehen. Ich musste davon ausgehen, dass die Verwandten ebenso froh wären wie ich, wenn sie wüssten, was wirklich vorgefallen ist.«
    Sie redete ununterbrochen, nahm sich kaum Zeit zum Essen und wartete nur selten ab, bis er genickt oder den Kopf geschüttelt hatte. Es war, als wollte sie ihn nicht zu Wort kommen lassen, als hätte sie Angst, er würde versuchen das Thema zu wechseln, bevor sie mit ihren Ausführungen zu Ende war. Inzwischen empfand es Cooper als unverdiente Ehre, dass sie ausgerechnet ihn dazu auserkoren hatte, und fragte sich, ob sie dieses Privileg noch anderen gewährt hatte, Frank Baine zum Beispiel.
    »Es kam mir vor, als hätte ich ein Buch vor dem letzten Kapitel weglegen müssen, verstehen Sie? Ein Buch, das ich nie zu Ende lesen konnte. Ich glaube, diese Enttäuschung hat mich angetrieben. Ich wusste, dass es eine herbe Erfahrung werden würde, die letzte Seite zu lesen. Aber es war eine Erfahrung, die ich machen musste. Verstehen Sie das, Ben?«
    Die Tatsache, dass sie ihn so selbstverständlich Ben nannte, schien einen Wendepunkt darzustellen. Cooper hatte genug Leute verhört, um zu wissen, dass Morrissey sich ihm jetzt, nachdem sie ihm ihre Beweggründe geschildert hatte, näher fühlte und ihn gewissermaßen als Freund betrachtete. Was ihm keinerlei Probleme bereitete.
    »Ich glaube schon.«
    »Gut. Wissen Sie auch, dass am vergangenen Montag der Jahrestag des Absturzes war?«
    »Ja.«
    »Keine Ahnung, warum, aber ich fand es wichtig, gerade jetzt hierher zu kommen.«
    »Haben Sie die Medaille zufällig dabei?«, fragte Cooper.
    »Ja. Und das Päckchen, in dem sie geschickt wurde, auch.« Morrissey legte die Medaille auf den Tisch. »Mein Großvater trug sie immer bei sich, wenn er flog. Sie war so etwas wie sein Talisman.«
    Cooper schob die Medaille mit dem Kaffeelöffel in das Licht, das durchs Fenster fiel, um die glänzende Metalloberfläche betrachten zu können.
    Morrissey beobachtete ihn lächelnd. »Falls Sie nach Fingerabdrücken suchen, muss ich Ihnen leider sagen, dass meine Mutter sie als Allererstes gründlich poliert hat. Sie sagte, sie sei schmutzig. Sie hat extra Silberpolitur gekauft.«
    »Prima.« Cooper konnte die Politur sogar noch riechen. Trotzdem waren einige durch Rost hervorgerufene Vertiefungen auf dem Metall und schwache Flecken auf dem verblichenen Band zu erkennen. Daneben waren einige dunklere Flecken zu sehen, kleine Spritzer, bei denen es sich möglicherweise um Blut handelte. Die Medaille war in einem alten Lederbeutel verwahrt gewesen, der so zerknittert und rissig war, dass man ihn praktisch kaum noch benutzen konnte. Auf der Innenseite waren an der Stelle, wo einst ein Etikett angenäht gewesen sein mochte, die Reste einer altersschwachen Stickerei zu sehen. Der Beutel war in mehrfach gefaltetes braunes Papier eingewickelt und mit Klebeband versiegelt gewesen, die kanadische Adresse stand mit schwarzem Filzstift in Großbuchstaben darauf geschrieben.
    »Und es war kein Brief dabei?«, fragte er.
    »Nein.«
    »Und die Adresse stimmt?«
    »Ja.«
    »Ich frage mich, woher der Absender die Adresse Ihrer Mutter kannte.«
    »Scharf beobachtet«, bemerkte Morrissey.
    Cooper sah auf. »Wie bitte?«
    »Glauben Sie nicht, dass wir uns das schon seit Monaten fragen? Seit die Medaille ankam.«
    »Natürlich.«
    »Es muss entweder jemand sein, der Zugang zur Dienstakte meines Großvaters hatte oder der meinem Großvater nahe genug stand, dass dieser ihm seine Heimatadresse gegeben hat. Vielleicht hat er sie demjenigen aufgeschrieben, damit sie nach dem Krieg miteinander in Kontakt bleiben konnten.«
    »Sie meinen … jemandem von seiner Besatzung?«
    »Und da es in Edendale abgestempelt wurde …«
    »Sie haben daraus geschlossen, dass das Päckchen von dem einzigen überlebenden Besatzungsmitglied kam, von Zygmunt Lukasz.«
    »Von wem denn sonst? Nachdem wir von Frank Baine erfahren hatten, dass Lukasz noch immer in Edendale wohnt, schien uns das die einzig logische Schlussfolgerung. Wen sonst sollte mein Großvater in dieser Gegend gekannt haben?«
    Cooper schob die Medaille wieder in die Verpackung zurück. »Die Familien der anderen

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