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Kaltes Grab

Titel: Kaltes Grab Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Booth
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diese Tradition fortzuführen. Nicht die leiseste Ahnung.«
    Fry legte auf. Am liebsten hätte sie sofort Cooper angerufen, wusste aber nicht, wohin er gefahren war. Vielleicht traf er sich wieder mit Alison Morrissey, schon aus purem Trotz. Dann musste er eben warten. Fry hatte nicht die Absicht, sich irgendwie in sein Privatleben einzumischen. Im Moment dachte Ben Cooper nur an sich selbst.

30
    A n diesem Abend war das Gotteshaus geöffnet. Durch ein Seitenfenster sah Ben Cooper mehrere Gemeindemitglieder auf Holzstühlen sitzen, die auf einem gefliesten Boden standen. Der Klang einer elektrischen Orgel drang an sein Ohr, ehe Stimmen in ein Kirchenlied einfielen.
    Bei seinem ersten Besuch bei Walter Rowland war Cooper die andere Kirche an der Ecke Harrington Street überhaupt nicht aufgefallen. Jetzt sah er, dass es die heilige Maria von Tschenstochau war, jene Kirche, die von den Lukasz' und anderen Mitgliedern der polnischen Gemeinde besucht wurde. Sie war an der Schwarzen Madonna über dem Eingang zu erkennen. Daneben stand auch das kleine Schulgebäude, die Samstagsschule, in der Richard und Alice Lukasz für ihre polnische mittlere Reife lernten. Ein Stück weiter die Straße hinunter befand sich das Dom Kombatanta, der Klub der SPK, der Organisation der ehemaligen polnischen Kriegsteilnehmer.
    Cooper klopfte an Rowlands Tür und stellte fest, dass sie nicht verschlossen war. Er drückte sie einen Spalt auf.
    »Mr Rowland?«
    Eine müde Stimme antwortete ihm. Eine schmerzverzerrte Stimme, die nur mühsam unterdrückte Verzweiflung verriet.
    »Ja. Hier herein.«
    Walter Rowland war im vorderen Zimmer. Wenigstens hatte sein Haus eine Heizung. Würde er in Hollow Shaw wohnen, wäre der alte Mann längst erfroren.
    Rowland saß in einer merkwürdigen Haltung am Tisch. Er hatte die Hände mit nach oben gekehrten Handflächen vor sich auf den Tisch gelegt, als wartete er darauf, dass es jeden Augenblick Goldstücke von der Decke regnete. Cooper fühlte sich unwillkürlich an einen Yogi in Lotusstellung erinnert, nur dass sie die Hände üblicherweise auf die Knie legten. Wie war das noch? Was wollte ein Yogi durch Meditation erlangen? Eine Art inneren Frieden? Doch der alte Mann vor ihm suchte ganz bestimmt nicht nach innerem Frieden. Rowlands Finger waren wie Klauen gekrümmt, und die Haut war trocken und wie Pergament gespannt, so dass die Gelenke wie knochige Wülste hervorstanden. Diese Hände sprachen so unmissverständlich von still ertragenem Leid und Schmerz, dass Cooper sein religiöses Bild von dem meditierenden Yogi augenblicklich revidierte. Diesen Händen hier fehlten nur noch die Nägel, die sie ans Holz hefteten.
    Rowland bemerkte, dass Cooper auf seine Hände blickte. »Heute geht's nicht so gut«, sagte er entschuldigend. Er sah blass aus, und seine Augen lagen noch tiefer in den Höhlen als sonst. »Wenn Sie eine Tasse Tee haben wollen, müssen Sie den Kessel selber aufstellen«, sagte er.
    »Haben Sie jemanden, der Ihnen hilft?«, fragte Cooper und ging in der Küche.
    »Wie meinen Sie das?«
    »Falls Sie mal krank sind und nicht selbst für sich sorgen können, dann gibt es doch sicherlich jemanden, der sich um Sie kümmert?«
    Rowland antwortete nicht. Cooper stöpselte den Wasserkocher ein und fand zwei Becher, auf denen das Londoner Parlamentsgebäude abgebildet war. Sein Blick fiel auf einen mehrere Zentimeter breiten Riss in der Hintertür. Das Holz war zerbrochen. Er fragte sich, ob der alte Mann vielleicht in der Küche gestürzt war.
    Cooper spähte ins Vorderzimmer. Rowland starrte auf seine Hände. Seine Finger waren so braun und knorrig wie der Kiefernholztisch, auf dem sie lagen.
    »Haben Sie es mal beim Sozialdienst probiert? Oder mit Ihrem Hausarzt gesprochen?«
    Der alte Mann schüttelte den Kopf.
    »Die könnten Ihnen jemanden vorbeischicken«, meinte Cooper. »In Ihrem Alter steht Ihnen das zu. Damit wäre einiges leichter für Sie. Ich meine, wie kochen Sie sich denn Ihr Essen?«
    Rowland lächelte nur. »Der Tee ist im Oberschrank.«
    Während er suchte, schaute sich Cooper ein wenig in den Küchenschränken um, wobei er die Türen so leise wie möglich aufzuschieben versuchte. Er fand allerlei Konserven - Fleisch mit Soße, Würstchen, neue Kartoffeln und weiche Erbsen, Pfirsiche und Ananasstückchen. Er fragte sich, ob Rowland überhaupt in der Lage war, einen Büchsenöffner zu benutzen. In der Ecke stand ein kleiner Kühlschrank, in dessen Gestänge an der Rückseite die

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