Kaltes Grab
Kühlflüssigkeit gurgelte. Er fand eine Tüte Milch, warf aber vorsichtshalber einen Blick auf das Haltbarkeitsdatum, als ihm der säuerliche Tee bei George Malkin wieder einfiel. Noch Tage später hatte er den widerlichen Geschmack im Mund gehabt. Rowlands Milch war jedoch noch ein paar Tage haltbar. Hieß das, dass jemand gelegentlich für den alten Mann einkaufen ging? Wenigstens etwas. Cooper überlegte, wie er Rowland danach fragen sollte und ob er ihm wohl antworten würde.
Er trug die beiden Becher ins Zimmer.
»Was haben Sie denn für Nachbarn? Gehen sie auch mal für Sie einkaufen?«
Rowland gab ihm keine Antwort, sondern hielt den Blick auf seine Tasse auf dem Tisch gerichtet. Cooper begriff, dass ihm der alte Mann damit unmissverständlich zeigen wollte, dass ihn das nichts anging.
»Machen Sie sich wegen mir keine Gedanken«, sagte er. »Ich habe meinen gewohnten Tagesrhythmus. Da drüben steht mein Fernseher. Und wenn kein Mord und Totschlag mehr kommt, weiß ich, dass es Zeit fürs Bett ist.«
Cooper setzte sich ihm gegenüber. Der Fernseher lief, doch Cooper wollte Rowland nicht bitten, ihn auszuschalten.
»Wir haben uns neulich über den Absturz der Lancaster unterhalten«, sagte er, »erinnern Sie sich?«
»Natürlich. Sugar Uncle Victor. Hier passiert nicht viel, woran ich mich nicht mehr erinnern kann.«
»Sie haben erzählt, Fliegerleutnant McTeague sei anders als die Flieger gewesen, die manchmal nach einem Absturz unter Schock standen.«
»Stimmt.«
»Inwiefern?«
Rowland ließ sich mit der Antwort Zeit, aber Cooper spürte, dass sein Widerstand heute nicht ganz so groß war.
»Ich hab ihn gerochen«, sagte Rowland.
»Wie bitte?«
»Als wir gemerkt haben, dass mindestens noch einer von der Besatzung fehlte, haben wir uns so gut es ging im Wrack umgesehen. Ein Teil davon brannte, und unser Sergeant schrie uns an, wir sollten wegbleiben. Aber wir hätten doch keinen in dem brennenden Flugzeug gelassen. Ich hab in die Kanzel geschaut. Sie war vom Rumpf abgerissen, deshalb haben die Flammen sie nicht erreicht. Und als ich meinen Kopf da reingestreckt hab... naja... ich konnte den Whisky riechen. Der Geruch hätte mich fast umgehauen.«
»Wollen Sie damit sagen, Fliegerleutnant McTeague war betrunken?«
»So wie es im Cockpit gestunken hat, muss er besoffen wie eine Ratte gewesen sein. Andere können meinetwegen sagen, er hat unter Schock gestanden. Das glauben Sie ja auch. Aber ich hab nie daran gezweifelt, dass er völlig betrunken war, als er die Maschine gegen den Irontongue Hill geflogen hat.«
»Aber das hätte seine Besatzung doch gemerkt.«
»Bestimmt. Aber nur Zygmunt Lukasz hat überlebt, und der hat nie was gesagt.« »Jedenfalls offiziell nicht.«
»Nein.«
»Treffen Sie sich gelegentlich mit Mitgliedern der polnischen Gemeinde in Edendale?«
»Was für einer Gemeinde?«, fragte Rowland.
»Die Polen haben hier in Ihrer Straße ihre eigene Kirche«, erklärte Cooper. »Und einen Veteranen-Klub, dem auch Zygmunt Lukasz angehört. Sie haben sogar eine eigene Schule.«
»Tatsächlich?« Rowland wirkte ein wenig erstaunt. »Aber darüber habe ich nie viel nachgedacht. Die leben ihr eigenes Leben, hab ich Recht? Wundert mich nicht, denn wie ich schon gesagt hab, halten die sich an ihre eigenen Sitten und Gebräuche.«
Rowland sah Cooper verwirrt an, ehe er nervös auf seinem Stuhl herumzurutschen begann.
»Ich kann es ihnen nicht verdenken«, fuhr der alte Mann fort. »Wenn ich aus irgendeinem Grund in Polen leben müsste, wäre ich auch nicht plötzlich Pole, oder? Nein, ich denke, ich wäre ein Bursche aus Derbyshire, bis ans Ende meiner Tage.«
Rowland schloss kurz die Augen. Noch immer drang leises Gemurmel aus dem Fernseher, aber jetzt war es eine andere Stimme, eine Frauenstimme mit schottischem Akzent. Beruhigend und besänftigend.
»Vielleicht irre ich mich ja mit McTeague«, meinte Rowland. »Aber ich kann mich nur an das erinnern, was ich gesehen und gehört habe.«
»Aber Sie haben Danny McTeague nicht gesehen, oder doch? Sie haben ihn auch weder gehört noch gerochen.«
»Als wir kamen, hatte er sich längst davongemacht.«
»Genau.«
»Ich hab immer gedacht, sie finden ihn irgendwo, wie er seinen Rausch ausschläft«, sagte Rowland. »Ich hab sogar mit dem Gedanken gespielt, ihn selber suchen zu gehen und windelweich zu prügeln. Aber ich glaube, sonst ist es keinem aufgefallen. Irgendwann hat auch das Cockpit gebrannt, und das war's dann. Niemand
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