Kaltes Grab
wieder an die Irving-Fliegerjacke im Zimmer über dem Buchladen. So einen Irving-Anzug könnte er jetzt gut gebrauchen, um das unaufhaltsame Entweichen der Körperwärme zu verhindern, die zusammen mit dem Blut aus dem Verletzten sickerte. Ohne ihre Irving-Anzüge wären die Männer in den Lancaster-Bombern beim winterlichen Bombenangriff auf Deutschland erfroren. Heckschützen wie Sergeant Dick Abbott hatten trotz der beheizbaren Anzüge häufig Erfrierungen erlitten. Zygmunt Lukasz hatte zwei Finger bei dem Versuch verloren, das Blut zu stillen, das aus den Wunden seines Cousins quoll, als sie nebeneinander im Schnee gelegen und auf Hilfe gewartet hatten. Sogar jetzt sah Cooper die beiden polnischen Flieger in ihren RAF-Uniformen deutlich vor sich, wie sie nur wenige Meter von der Stelle entfernt lagen, an der er sich jetzt mit Lawrence befand. Rot, weiß und blau.
In der Ferne sah er ein Licht, dessen rechtwinklige Form im Dunkeln wie ein Leuchtfeuer über das wirbelnde Schneefeld blinkte. Einen Moment dachte Cooper an den hellen Stern, dem die Weisen aus dem Morgenland gefolgt waren. Doch dieses Licht kam von Norden, und es war eindeutig kein Stern. Es war das Schlafzimmerfenster eines ehemaligen Landarbeiters, hinter dessen vorhanglosen Scheiben vielleicht gerade in diesem Augenblick ein Mann saß und die Fehler bereute, die er in seinem Leben begangen hatte.
Ein Stück weiter westlich hob sich ein dunkler Umriss vom Schnee ab - der Steindamm vor dem Blackbrook-Reservoir. Cooper stellte sich vor, wie sich Fliegerleutnant Danny Mc-Teague vom Wrack seiner Lancaster entfernte und quer über das Moor lief, um Hilfe zu holen. In ein paar Minuten wäre es völlig dunkel, so wie damals, als McTeague von der Sugar Uncle Victor aufgebrochen war. Dann konnte er das Reservoir nicht mehr sehen, sondern nur noch das Licht.
»Zumindest haben Sie George Malkin geholfen, Lawrence«, sagte Cooper. »Seine Souvenirs haben ihm ein hübsches Sümmchen eingebracht, oder?«
Lawrence antwortete immer noch nichts. Ben Cooper starrte ihn an, als hätte er etwas gesagt, etwas besonders Kluges, was Cooper noch nicht in den Sinn gekommen war.
»Genau«, wiederholte er. »Sie haben George Malkin geholfen, stimmt's, Lawrence?«
Der Wind wurde noch stärker. Cooper spürte, wie ihm Eisschnee, der von der Kante der Schneewehe fortgetrieben wurde, auf den Nacken prasselte. Seine Ohren schmerzten immer heftiger, doch dieser Schmerz ließ sich nicht einmal ansatzweise mit dem vergleichen, was Marie Tennent durchgemacht haben musste, als sie in der Nacht ihres Todes im Schnee gelegen hatte. An den Stellen, wo seine Hand dem Schnee ausgesetzt gewesen war, sah sie rot und wund aus. Er rieb sie an seiner Hose trocken und steckte sie wieder in den Handschuh. Aber auch im Handschuh war schon Schnee, so dass er nicht besonders wärmte.
»Ich weiß, dass Sie nichts mit dem Mord an Nick Easton zu tun hatten. Und auch Maries Tod war nicht Ihre Schuld. Aber Sie müssen uns sagen, wo das Baby ist, Lawrence.«
War dieses dumpfe Peitschen in seinen Ohren das Geräusch eines Hubschraubers? Oder war es nur sein Herz, das darum kämpfte, das Blut durch seine Adern zu pumpen? Wenn er Lawrence davon überzeugen konnte, dass die Rettung nicht mehr fern war, beschloss der Buchhändler vielleicht, doch nicht zu sterben. Vielleicht raffte er sich noch einmal auf, dann könnten sie sich gegenseitig wärmen und beide überleben.
Aber Lawrence raffte sich nicht mehr auf. Sein Körper konnte niemanden mehr wärmen. Cooper legte sich über ihn und zog die Windjacke über sie beide, so dass nur noch ihre Köpfe und Füße herausschauten. Er musste den Hubschrauber hören können, damit er ihm seine Position signalisieren konnte. Er wusste zwar nicht, ob ihm das in dieser Finsternis gelingen würde, aber irgendwie musste es gehen. Er hatte nur seine Taschenlampe, und das Hochmoor war weit entfernt. Höchstwahrscheinlich hatte die Rettungsmannschaft Wärmebildkameras an Bord und konnte ihrer beider Körperwärme lokalisieren. Falls bis dahin noch etwas davon vorhanden war.
Ja... es war eindeutig ein Hubschrauber.
»Ich glaube, sie sind da, Lawrence«, sagte er.
Cooper legte seine Hand auf Lawrences Gesicht. Seine Finger berührten etwas Hartes, Kaltes, eine seltsame Erhebung auf Lawrences Wange. Es war eine einzelne Träne, die langsam auf seiner Haut festfror.
35
D iane Fry fuhr vom Parkplatz der Zentrale und folgte den Rücklichtern eines Streifenwagens die
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