Kaltes Grab
verwandelten, die auf ihren Wangen glitzerten. Ein Rest gesunder Menschenverstand zwang ihn, zu ihr zurückzugehen und zusammen mit ihr im Wagen auf Hilfe zu warten. Er starrte sie so lange an, dass er dachte, er würde ihren roten Schal bis in alle Ewigkeit sehen.
Dann drehte er sich um und ging weiter hinaus ins Hochmoor. Als Cooper sich ein letztes Mal umdrehte, sah er, dass Fry ihm in der Dämmerung immer noch nachschaute und der Schnee im Scheinwerferlicht ihres Wagens immer dichter fiel. Dann führte ihn der Weg in eine Senke, und Fry verschwand aus seinem Blickfeld.
Diane Fry erledigte die notwendigen Anrufe mit zitternden Händen. Danach konnte sie nur noch warten. Ben wusste, dass sie zu besonnen war, um etwas anderes zu unternehmen, und dass sie über genügend Selbstdisziplin verfugte, um nicht gegen die Vorschriften zu verstoßen. Sie würde ihren Impulsen nicht nachgeben, sondern auf die eindeutigen Prioritäten achten, die in diesem Fall Selbsterhaltung und Koordinierung der Rettungsmaßnahmen hießen.
Natürlich würde Cooper nie im Leben begreifen, dass es ihr erster Impuls gewesen war, ihm durch den Schnee zu folgen. Aber wenn jeder seinen Impulsen nachgab - wo käme die Welt da hin? In was für einem Schlamassel würden sie dann alle stecken?
Und Cooper würde niemals zugeben, dass das Schlimmste die Warterei war. Er würde nie erfahren, wie schwer es war, ganz allein im Wagen zu sitzen und zuzusehen, wie der Himmel sich verdunkelte und es immer heftiger schneite, bis der Schnee seine Spuren füllte und jedes Anzeichen seiner Anwesenheit auslöschte.
Fry schaltete die Scheibenwischer ein und betrachtete Coopers Toyota, von dem er immer behauptete, er würde ihn durch jeden Schnee bringen. Aber jetzt stand das Auto verlassen auf dem Parkplatz, während Cooper sich dem Schnee ganz allein stellte. So wie Fry ihn kannte, hatte er in seinem Eifer, ein Held zu sein, wahrscheinlich sogar vergessen, ihn abzuschließen.
Trotz der Heizung zitterte Fry. Aus irgendeinem Grund kam ihr die Akte in den Sinn, die sie in einer abgeschlossenen Schublade in ihrem Schreibtisch in der West Street aufbewahrte, und sie wusste plötzlich, dass sie diese Akte ohne zu zögern vernichten würde, falls Ben Cooper lebend zurückkehrte.
Das ferne Heidemoor sah im Zwielicht verblüffend künstlich aus, wie Styroporhügel, in deren weißer Oberfläche dunkle Risse klafften. Abgesehen von Ben Coopers unmittelbarer Umgebung war die Landschaft nahezu konturenlos. Man sah keinen Horizont, nur ganz hinten, wo die tief hängenden Wolken auf den Bergen lagen und stumm immer mehr Schnee auf das Moor fallen ließen, verschwammen die sanften Wellen ein wenig. Der einzige Orientierungspunkt war der nackte Fels des Irontongue Hill, der sich schwarz gegen den dunklen Hintergrund abhob.
Es war nicht schwer, Lawrence Daleys Spuren zu folgen. Zwar waren auch die Abdrücke anderer Wanderer zu sehen, aber Lawrences Spuren waren die einzigen frischen. Cooper versuchte den Wasserrinnen auszuweichen, versank jedoch ab und zu trotzdem bis zu den Knien in einer Wehe und musste sich mühsam wieder herausarbeiten. Der Schnee war zu kalt, um seine Kleider zu durchnässen. Stattdessen setzte er sich in kleinen, gefrorenen Klumpen in Hose, Stiefeln und Handschuhen fest. Das Stapfen durch die tiefen Schneewehen entzog seinen Beine die Kraft, und nach einer Weile begannen seine Waden zu brennen.
Er wusste, dass er Lawrence finden musste, bevor es vollends dunkel wurde. Bei diesem Wetter war es gefährlich, sich nachts im Moor aufzuhalten. Und nicht nur gefährlich, sondern tödlich für jeden, der nicht entsprechend ausgerüstet war. Je stärker der Schnee fiel, desto schwieriger war es, Lawrence irgendwo auszumachen, es sei denn, er konnte den Abstand verringern.
Er stieg immer höher und hielt dabei auf die Kuppe des Irontongue Hill zu, wo die Trümmer der Sugar Uncle Victor lagen. In den Felsspalten bedeckte der Schnee die dünne Eisschicht, die unter seinem Gewicht knackte und nachgab, während seine Stiefel im tieferem Schnee versanken. Doch er konnte keine andere Route wählen - es gab zu viele Rinnen und Schluchten und Felsspalten, zu viele unter hüfthohen Verwehungen versteckte Mulden, zu viele eisige Bäche und Entwässerungsgräben, in die man stolpern konnte.
Endlich entdeckte er einen Farbfleck im Schnee, der im Dämmerlicht kaum mehr sichtbar war. Cooper änderte die Richtung und hielt darauf zu. In etwa fünfzig Meter Entfernung
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