Kaltes Grab
Dienststellenleiter der Division E, erklärte sich bereit, sich persönlich mit Alison Morrissey zu treffen. Natürlich forderte er jüngere Beamte zu seiner Unterstützung an. Ihre Stärke liege in der zahlenmäßigen Überlegenheit, sagte er – als wäre die Besucherin die Vorhut einer feindlichen Bande, die im Begriff war, die Division E zu stürmen. Aber zahlenmäßige Überlegenheit war genau das, was sie im Augenblick nicht zu bieten hatten. Die diensthabende Inspektorin hatte gemeint, sie sei zu beschäftigt, und auch von der Abteilung für öffentliche Sicherheit war niemand verfügbar. Dann war Ben Coopers Name gefallen.
»Hier sind die Akten, die der zuständige Nachrichtenoffizier für den Chief zusammengestellt hat«, sagte Paul Hitchens, als er Cooper kurz vor seinem eigenen Feierabend die Neuigkeit überbrachte.
»Wenn der NO die Berichte zusammengestellt hat, warum nimmt er dann nicht selbst an der Besprechung teil?«
»Er hat eine Erkältung. Also müssen Sie ran, Ben.«
»Warum?«
»Der Chief fürchtet, dass man ihm ein paar Fragen stellt, für die einige Ortskenntnisse notwendig sind. Sie wissen ja, dass er es seit seiner Versetzung aus Lancashire nie so richtig geschafft hat, sich zu merken, in welchem Bezirk er eigentlich arbeitet. Deshalb hat er sich Sie als Einheimischen ausgesucht, der alle Fragen beantworten kann, die für uns andere zu schwer sind – wie man ›Derbyshire‹ buchstabiert und solche Sachen.«
»Nein. Ich meinte: warum?«, sagte Cooper. »Es hört sich so an, als sei diese Alison Morrissey auf einem Kreuzzug oder so, um den Namen ihres Großvaters reinzuwaschen. Das sind doch alles uralte Geschichten, oder?«
»Da haben Sie allerdings Recht.«
»Warum dann dieser Aufstand?«
»Politische Gründe.«
»Politisch? Was ist denn daran politisch?«
»Wir sind jemandem was schuldig.«
»Wir?«
»Wenn ich ›wir‹ sage, meine ich natürlich den Chief Inspector. Erinnern Sie sich nicht mehr an den großen Betrugsfall vor ein paar Jahren, Ben? Der Hauptverdächtige hatte das Land verlassen und ist in Kanada wieder aufgetaucht, als Holzfäller oder so was verkleidet. Erst waren die Mounties nicht besonders kooperativ, aber dann hat der Chief den Konsul in Sheffield eingeschaltet. Die beiden haben ein-, zweimal zusammen Golf gespielt, und der Konsul hat ein paar Beziehungen spielen lassen. Wie auch immer, jedenfalls hat sich unser Chief Superintendent drüben in Ottawa ein paar neue Busenfreunde gemacht. Und einer von denen ist der Onkel dieser Morrissey. Das meine ich mit Politik.«
»Das heißt, es ist alles bloß Show?«
»Gewissermaßen. Unternommen wird aber nichts.«
»Woher wollen Sie das wissen, Sir? Wir haben doch noch gar nicht mit der Frau gesprochen.«
»Sie werden ja sehen«, sagte Hitchens. »Auch politischer Einfluss kann weder Geldmittel noch Personal aus dem Boden stampfen.«
Als Cooper endlich Feierabend hatte, machte er sich sofort auf den Weg quer durch die Stadt zum Old-School-Pflegeheim. In einem der Aufenthaltsräume saß seine Mutter und wartete, in einem Lehnstuhl – aufrecht, starr, den Blick auf die Wand gerichtet und mit den Gedanken weit weg in ihrer eigenen Welt.
»Weißt du noch, was ich gesagt habe, Mum?«, fragte er. »Dass ich von der Farm wegziehe?« Er versuchte beiläufig zu klingen, als hätte er vor, kurz in den Laden an der Ecke zu gehen, um ein paar Teebeutel zu kaufen.
Isabel Cooper erwiderte nichts, doch ihr Blick wanderte zu seinem Gesicht. Cooper nahm ihre Hand. Sie fühlte sich schlaff und leblos an.
»Ich finde, ich sollte zur Abwechslung mal allein wohnen«, sagte er. »Es ist aber hier in Edendale, mach dir keine Sorgen. Ich komme dich trotzdem jeden Tag besuchen.«
Ihr Blick war noch immer nicht auf ihn gerichtet, aber einen Augenblick lang schien ein Schatten über ihr Gesicht zu huschen, ein verschwommenes Abbild des Ausdrucks, den sie immer aufgesetzt hatte, wenn sie glaubte, sie hätte ihn bei einer Lüge ertappt.
»Für dich ändert sich dadurch überhaupt nichts, Mum«, versicherte er. »Du siehst mich genauso oft wie jetzt. Viel zu oft, wie gewöhnlich. Das hast du immer gesagt, wenn ich dir zwischen den Füßen herumgelaufen bin.«
Er wünschte, sie würde ihn anlächeln, nur ein einziges Mal. Aber ihr Gesicht blieb maskenhaft starr. Das lag zum Teil an den Tabletten, die die unwillkürlichen Zuckungen kontrollierten und die Gesichtskrämpfe unterdrückten, die sie so oft in eine Fremde verwandelt
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