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Kaltes Grab

Titel: Kaltes Grab Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Booth
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gewesen war. Und zweifellos warteten in der West Street noch unzählige andere Aufgaben auf ihn.
    Trotzdem widerstrebte es ihm, sich womöglich zu früh zu verabschieden. Umständlich wechselte er die Schuhe, um Zeit zu schinden, während er durch die Glastür spähte, um zu sehen, ob sich vor dem Haus noch immer jemand aufhielt.
    Dann fiel ihm auf, dass Lukasz nicht in den Wintergarten zurückging, sondern im Nebenzimmer verschwand. Als er die Tür öffnete, erhaschte Cooper einen kurzen Blick auf eine dritte Person, die an einem Tisch saß. Es war ein alter Mann mit dünnem, weißem Haar, das aus der Stirn zurückwich und über den Ohren zurückgekämmt war. Auf seiner römisch gebogenen Nase saß eine Nickelbrille, und er trug einen dicken, braunen Pullover, in dem seine Schultern im Verhältnis zum restlichen Körper unverhältnismäßig breit wirkten. Als Peter Lukasz das Zimmer betrat, blickte der alte Mann auf, und Cooper sah seine Augen. Sie waren hellblau und in die Ferne gerichtet, als blitzte der Himmel hinter einer aufreißenden Wolke auf.
    Es dauerte nur eine Sekunde, dann war die Tür wieder zu. Aber Ben Cooper hatte einen ersten flüchtigen Eindruck von Zygmunt Lukasz bekommen.
    Inspector Hitchens verschränkte die Arme und ließ den Blick durch den Raum wandern, in dem es totenstill geworden war. Niemand meldete sich, um sich freiwillig in den Steinbruch abseilen zu lassen. Unter den Anwesenden gab es Polizisten, die schon angesichts einer etwas steileren Treppe in Panik gerieten. Bei anderen fehlte es von vornherein an den technischen Voraussetzungen. Zum Beispiel Gavin Murfin. Wenn man ihm ein Seil in die Hand drückte, würde er wahrscheinlich versuchen es aufzuessen.
    Inspector Hitchens Blick blieb einen Moment lang an Murfin hängen, ehe er weiterwanderte. Plötzlich hielt er inne und schaute sich noch einmal im Raum um.
    »Moment mal«, sagte er. »Hier fehlt doch jemand.«

11
    B en Cooper hatte sich nie richtig an das Gefühl gewöhnen können, rückwärts ins Leere zu treten. Die Sekunde, ehe sein Stiefel die Felswand berührte, war ein Moment, der sich mit nichts vergleichen ließ. Jedes Mal schoss ihm der Gedanke durch den Kopf, dass er nie wieder festen Boden unter die Füße bekommen würde – oder vielmehr, dass er ihn nur noch ein einziges Mal berühren würde, nämlich wenn er am Fuß des Felsens aufschlug.
    Aber seine Sohlen landeten sanft auf dem rauen Sandstein. Das Seil in seinen Händen vibrierte, und die Sicherungsgurte strafften sich. Er ließ ein Stück Seil nach, bis er sich weit genug zurücklehnen konnte, um einen sicheren Stand zu haben, indem er sein Gewicht gegen den Felsen stemmte. Dann fasste er noch einmal nach und beugte sich ein Stück vor. Der Winkel musste genau stimmen. War er zu spitz, rutschten die Füße von der glatten Oberfläche ab, und er prallte mit dem Gesicht gegen die Wand.
    Cooper blickte nach oben und sah zwei Mitglieder des Bergrettungs-Teams aus Buxton über die Kante zu ihm herunterspähen; ihre Köpfe sahen winzig aus und standen in keinem Verhältnis zum Himmel.
    »Alles klar, Ben?«
    »Bestens.«
    Ein Stück weiter rechts drehte sich Liz Petty von der Spurensicherung mit dem Rücken zur Felskante und machte den ersten Schritt in den Abgrund. Sie trug ihren blauen Overall und eine gelbe, wasserdichte Jacke. Der rote Helm hing ihr fast über die Augen.
    Cooper war von seinen Freunden von der Bergrettung in die Geheimnisse des Abseilens eingeweiht worden und wusste, dass es wesentlich einfacher war, als es für die Zuschauer dort oben aussah. Erstens musste man nicht wie sie ständig nach unten sehen. Man konzentrierte sich voll und ganz auf das Seil, darauf, wohin die Füße traten, und auf die Felswand vor einem. Sobald man dem schwindelnden Abgrund den Rücken gekehrt und den ersten Schritt ins Leere gewagt hatte, war das Ganze eigentlich ziemlich einfach.
    Er hielt kurz inne und manövrierte sich um einen Sandsteinbuckel herum. Liz kam neben ihm auf, wandte den Kopf und lächelte ihn an. Es war das verschwörerische Bergsteigergrinsen. Ihr Gesicht war vor Kälte und Aufregung gerötet, und ihre Augen strahlten ihn unter dem Helm hervor an.
    »Abwärts?«, fragte sie.
    Cooper rutschte ab und streckte die linke Hand aus, um sich auszubalancieren und zu verhindern, dass sein Gewicht das Seil zum Schwingen brachte. Er verdrehte sich ein wenig und blickte nach unten auf seine Bremshand, während er das Seil durch den Abseilachter laufen ließ. Der

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