Kaltes Grab
Misstrauen zu erkennen, sondern Furcht.
Als er geklingelt hatte, war das Gesicht der Frau aus dem Fenster verschwunden, obwohl er sie nicht hatte aufstehen sehen. Durch die Glasscheiben in der Tür sah er eine Bewegung und begriff mit einem Mal, warum die Frau nicht aufgestanden war. Sie saß im Rollstuhl.
Cooper stellte sich vor und zeigte, irritiert von der Nervosität der Frau, seinen Dienstausweis vor. Als sie hörte, wer er war und warum er sie aufsuchte, entspannte sie sich merklich. Sie zog ihn förmlich in die Diele des Bungalows und machte die Tür hinter ihm zu. Dann beugte sie sich vor und schob den wurstförmigen Stoffdackel, der die Zugluft abhalten sollte, wieder vor die Tür.
»Wenn Sie so nett wären, die Schuhe auszuziehen«, sagte sie. »Dort im Schränkchen steht noch ein Paar Gästepantoffeln.«
Die Wärme im Haus sorgte schon jetzt dafür, dass Cooper unter seinem Mantel der Schweiß ausbrach. Der Unterschied zwischen diesem Haus und der Hollow Shaw Farm war ungefähr so, als würde man in Island ein Flugzeug besteigen und in Äquatorialafrika wieder von Bord gehen. Grace Lukasz trug einen cremefarbenen Pullover und eine Freizeithose und wirkte zugleich leger und elegant. Während er die Hausschuhe anzog, warf Cooper einen Blick in die Flure, die nach beiden Richtungen von der Diele abgingen. Das Haus hatte mindestens vier Schlafzimmer. Er fragte sich, womit Piotr Lukasz sein Geld verdiente.
»Ich bin mir absolut nicht sicher«, sagte Mrs Lukasz. »Aber die Beschreibung kam mir sehr ähnlich vor. Und da die Polizei um Hilfe gebeten hat …«
»Ganz recht. Wir wissen die Hilfe der Bevölkerung immer sehr zu schätzen.«
Sie neigte den Kopf ein wenig, um ihn mit einem amüsierten Lächeln anzusehen. Sie ließ sich nicht an der Nase herumführen. Früher einmal musste sie recht attraktiv gewesen sein und war es im Grunde genommen immer noch – zumindest für denjenigen, der über den Rollstuhl hinwegsehen konnte. Sie hatte nicht einmal den Hauch eines Akzents. Das hieß nicht unbedingt, dass sie nicht polnischer Herkunft war, aber fürs Erste ging er davon aus, dass sie Engländerin und Zygmunt Lukasz’ Schwiegertochter war.
»Haben Sie schon herausgefunden, wer der Mann ist?«, erkundigte sie sich.
Verdutzt stellte Cooper fest, dass Mrs Lukasz die Initiative ergriffen hatte und nun diejenige war, die die Fragen stellte. Er hatte einen Moment lang ganz vergessen, weshalb er gekommen war, weil er mit den Gedanken zu sehr mit dem alten Flieger beschäftigt gewesen war. Er kannte sich selbst gut genug, um zu wissen, dass sich so etwas rasch zur fixen Idee auswuchs, wenn er nicht aufpasste. Trotzdem hätte er Zygmunt Lukasz gern kennen gelernt, schon allein, um ihn mit den Fotos aus dem Buch zu vergleichen und festzustellen, ob er der junge Mann war, der sich mit ihm über diese siebenundfünfzig Jahre hinweg in Verbindung zu setzen versuchte.
»Nein, leider noch nicht, Mrs Lukasz. Ich hatte gehofft, dass mich ein Besuch bei Ihnen ein Stück weiterbringt.«
»Aha.«
Seltsamerweise schien sie enttäuscht zu sein. »Leider hat er sich nicht vorgestellt. Er hat hier geklingelt, aber ich habe ihn wieder weggeschickt.«
»Wann war das noch mal?«
»Am Montagmorgen. Ich habe gestern angerufen, nachdem ich es in den Nachrichten gehört habe. Sie haben sich Zeit gelassen herzukommen.«
»Wir müssen sehr viele Leute befragen«, sagte Cooper.
Mit einem Mal hatte er das Gefühl, beobachtet zu werden. Er sah sich um und begegnete dem skeptischen Blick eines blaugrünen Papageis, der den Kopf ähnlich wie seine Besitzerin schief legte und ihn betrachtete.
»Ich dachte, er verkauft vielleicht Versicherungen oder Austauschfenster«, sagte Mrs Lukasz. »Von denen treiben sich immer wieder welche hier herum. Natürlich habe ich gleich gesehen, dass er kein Jehova war.«
»Nein?«
»Seit sie herausgefunden haben, dass wir Katholiken sind, kommen sie nicht mehr vorbei. Was sehr schade ist, denn ich wollte immer mal einen von ihnen bekehren.«
»Hat der Mann, der am Montag bei Ihnen geklingelt hat, nicht gesagt, was er will?«
»Dazu habe ich ihm erst gar keine Gelegenheit gegeben«, antwortete Mrs Lukasz. »Ich habe keine Lust, an der Haustür in der Kälte zu sitzen und mich mit Verkäufern zu unterhalten. Sie hätte ich auch beinahe wieder weggeschickt, aber dann habe ich gesehen, dass Sie nichts verkaufen wollen. Nicht mit diesem Mantel.«
Peinlich berührt von den Blicken der Frau und des
Weitere Kostenlose Bücher