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Kaltes Grab

Titel: Kaltes Grab Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Booth
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der Piper reflektierte einen Sonnenstrahl, als sich die Maschine auf die Seite legte und hinter dem Berg verschwand, wo das Dröhnen ihres Motors zu einem unheilvollen Grummeln verebbte, als es sich an den felsigen Flanken des Irontongue brach.
    Chief Superintendent Jepson schloss die Augen vor Schmerzen. Einen Augenblick lang dachte er, er hätte einen Herzanfall. In der letzten Zeit überkam ihn diese Angst häufiger, jedenfalls seit sein Arzt gesagt hatte, sein Blutdruck sei zu hoch und er müsse dringend abnehmen. Jedesmal wenn er ein unangenehmes Ziehen oder den Anflug eines Krampfes spürte, glaubte er an einen Herzanfall. Dann lehnte er sich zurück, atmete langsam durch und griff nach einem Aspirin, um das Blut zu verdünnen, bevor es zu spät war. Aber es war nie ein richtiger Herzanfall. Noch nicht. Normalerweise handelte es sich lediglich um die Folgeerscheinung von dem Stress, den ihm seine Untergebenen bereiteten und der von Tag zu Tag größer zu werden schien. Sie schienen es kaum erwarten zu können, ihm von den neuesten Katastrophen in der Division E zu berichten, ohne sich darum zu scheren, was sie seinem Herz-Kreislauf-System damit antaten.
    Die Nachrichten heute Morgen waren geradezu symptomatisch. Einundfünfzig Wochen im Jahr herrschte Personalmangel, aber nie so sehr, dass er nicht damit zurechtkam. Genau genommen arrangierte er sich so gut damit, dass die Verwaltung in Ripley dies als Begründung anführte, weshalb sie seine Anfragen nach weiteren Beamten regelmäßig ablehnte. Sie wiesen jedes Mal darauf hin, dass die Division E weniger Kapitalverbrechen zu bearbeiten hatte als alle anderen Abteilungen von A bis D. Aber das bedeute natürlich auch, dass er die Abteilung hervorragend führe, dass er, was »intelligenzgeleitete Polizeiarbeit« anging, ein Vorbild für die anderen Commander sei und dass seine Informationspolitik und sein Organisationstalent so herausragend seien, dass die Frage, wie viele Beamte er jeweils zur Verfügung hatte, letztendlich eine rein akademische geworden sei. Damit wollten sie ihm schmeicheln und ihn zugleich ruhig stellen.
    Und dann kam die eine Woche des Jahres, in der das gesamte System zusammenbrach. Diese eine Woche, in der der Verkehr auf jeder Straße außerhalb der Innenstadt im Schnee stecken blieb und seine Leute alle Hände voll zu tun hatten, liegen gebliebene Fahrzeuge aus dem Weg zu räumen. Jene Woche, in der die Hälfte seiner Leute auf dem Eis ausrutschte und sich das Schlüsselbein brach oder sich beim Freischaufeln der Hauseinfahrt den Rücken zerrte, während sich die andere Hälfte wegen Grippe krankmeldete. In derselben Woche fuhr irgendein Idiot einen Streifenwagen in Harpur Hill gegen die Mauer, und ein noch größerer Idiot ließ sich seine Karre von zwei jugendlichen Einbrechern, die er eigentlich festnehmen sollte, klauen und abfackeln. Dann wollte der Verwaltungsinspektor wissen, wie seine Gelder ausgegeben wurden, und die Beschwerdeabteilung erhielt von diesen langfingrigen Zigeunerbrüdern, die ihr Lager auf dem Golfplatz aufgeschlagen hatten, die übliche Klage wegen rassistischer Übergriffe.
    Und nun hatte es seine Abteilung nicht nur mit einer, sondern gleich mit zwei Leichen zu tun. Womöglich sogar mit dreien, wenn das gesuchte Baby nicht bald auftauchte. Eine Leiche war ärgerlich, zwei waren Pech, drei eine absolute Katastrophe. Genau genommen waren drei Leichen eine völlig irrwitzige Leichenflut. Chief Superintendent Jepson sah sie förmlich wie Kegel auf sich zustürzen, oder wie Mumien, die aus ihren Särgen kippten, vor seinen Füßen landeten und ihn aus ihren Leinenbinden angrinsten. Ja, es kam ihm vor, als lägen überall Leichen in der Gegend herum. Sie waren schlimmer als die verlassenen Autos, schlimmer noch als Polizisten, die mit verrenktem Rücken zu Hause auf dem Sofa lagen, als Leichen, die eigentlich tot sein sollten, es aber nicht waren.
    »Intelligenzgeleitete Polizeimethoden« müssten ihn dazu befähigen, einen Beamten mit einem Stapel Haftbefehle in der Hand zu der jeweiligen Adresse zu schicken. Doch seine Intelligenz war erschöpft vom vielen Leiten und hatte sich einfach aus dem Staub gemacht. Wahrscheinlich hatte sie sich im finsteren Hochmoor verlaufen und war in einen Abgrund gestürzt.
    »Also, wen haben wir denn überhaupt noch zur Verfügung?«, sagte er und öffnete die Augen gerade so weit, um Inspector Hitchens’ Gesichtsausdruck sehen zu können. Der Chief suchte nach einem Anzeichen von

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