Kaltes Herz
verschwanden in der Küche, ihre Stimmen wurden leiser, Tante Johannes und des Professors Schritte entfernten sich den unteren Gang entlang dorthin, wo sich Tante Johannes Geschäftsräume befanden. Man erreichte sie auch durch den Haupteingang des Hauses, während die Pflogs stets durch den Hof gingen, um in die Wohnbereiche zu gelangen. Als es still war, blieb nur das allgegenwärtige Grollen aus den Tiefen des Hauses.
Dann ging die Küchentür noch einmal auf, Ida kam herausgeschossen und lief in die Essstube. Henriette ging ein paar Stufen tiefer, und als Ida zurückkam, eine große Terrine im Arm, passte Henriette sie ab.
«Ida!»
«Gott, hast du mich erschreckt!» Als Ida sich gefasst hatte, lachte sie. «Fast hätte ich das Porzellan fallen gelassen.» Dann raunte sie: «Ich wette, sie ist in ihn verliebt.»
Henriette war in diesem Moment einerlei, wen Ida meinte. Sie hörte eine Tür klappen, wahrscheinlich die Bürotür.
«Ida, das Buch ist noch in der Kammer. Johanne, du …»
«Was?!»
Ida wurde ganz weiß im Gesicht.
«Ich habe das falsche mit nach oben genommen.»
«Aber …»
Schritte. Herrenschuhe.
Ida stellte die Terrine auf den Fliesenboden. «Ich hol’s schnell! Du musst es hochbringen!»
Ida fasste die Klinke, drückte sie hinunter. Die Tür zur Betstube war verschlossen.
«Oh nein! Oh nein!»
Die Schritte kamen näher, jeden Moment musste der Professor um die Ecke kommen.
«Ich muss hoch, sonst gibt es nur noch mehr Ärger», zischte Henriette.
Während sie nach oben eilte, hörte sie unten den Professor sprechen.
«Kann ich dir helfen, Ida?»
«Nein! Ich hab nur … die Terrine …»
«Gut, dann bring mir doch bitte Kaffee ins Büro.»
«Ja, natürlich.»
Henriette erreichte die Kammer, setzte sich mit klopfendem Herzen aufs Bett. Wenn Tante Johannes Geschäftsräume zur Straße hinaus lagen, dann hieß das, dass sie unter den Kammern der Mädchen liegen mussten. Henriette lauschte, hörte den Professor, der zurückkam. Hörte dann Stimmen, unterbrochen von einem erneuten Aufheulen, das aus dem Westflügel drang. Es klang wie ein waidwundes Tier, wie etwas, das den Gnadenschuss erwartete, und die Vorstellung, dass diese Geräusche von dem Monster verursacht wurden, das sie hinter dem Vorhang gesehen hatte, die Vorstellung, dass dieses Monster Idas Vater war, ihr Onkel, jagte Henriette einen Schauer über den Rücken.
Als das Heulen verklang, setzte unter ihr das Murmeln wieder ein, Henriette konnte deutlich Tante Johannes Stimme und die des Professors unterscheiden, die eine hell und hektisch, die andere ruhig und tief, doch sie konnte keine einzelnen Worte verstehen, auch nicht als sie sich auf den Boden legte und ein Ohr auf die Dielen legte. Ihr Blick fiel auf den Waschtisch und die emaillene Waschschüssel darauf. Sie enthielt noch Wasser von heute Morgen, trübe von der Seife, die sie und Ida benutzt hatten. Henriette versuchte, das Wasser in die Kanne zurückzugießen, und als sich herausstellte, dass sie die Hälfte verschütten würde, stellte sie die Schüssel ab, öffnete das Fenster über ihrem Bett und schüttete das Wasser in einem Schwall aus dem Fenster. Die Stimmen unter ihr verstummten für einen Moment, bevor sie wieder einsetzten. Hoffentlich hatte Henriette noch nichts Wichtiges verpasst. Warum hatte Tante Johanne sie heraufgeschickt? Warum wurde sie, ebenso wie Onkel Heinrich, vor den Augen der Außenwelt verborgen gehalten? Und vor allem, was war das für ein Notfall, wegen dem der Professor gerufen worden war?
Leise schloss Henriette das Fenster, legte die Schüssel mit der Öffnung nach unten in die Mitte des Fußbodens, nahm das Wasserglas, stülpte es ebenfalls um und stellte es auf den Boden der Waschschüssel. Als sie jetzt das Ohr an das Glas legte, war es, als ob sich eine Tür öffnete.
Sie hörte Schritte, hörte, wie jemand Johannes Geschäftsräume betrat, und dann, wie durch einen Schleier von fließendem Wasser, gedämpft Idas Stimme.
«Der Kaffee.»
«Danke, Ida», sagte der Professor.
Henriette konnte sogar hören, wie der Kaffee in die Tasse floss, hörte den Professor mit klingendem Löffel umrühren.
Ida ging wieder, einen Moment lang herrschte Schweigen.
«Und du weißt wirklich nicht, was ihn in diesen Zustand versetzt hat? Du hast nicht die leiseste Ahnung?»
«Ich weiß es nicht. Er muss verrückt geworden sein. Er behauptet … nun … er behauptet, er hätte gesehen, wie ich mich im Hof mit unserem Fahrer …
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