Kaltes Herz
vorbei und um die Ecke zum letzten Zimmer neben der Hintertreppe, die nie jemand benutzte außer dem Professor, wenn er hier wohnte, Glücksfälle, die mit den Jahren immer seltener geworden waren. Am Anfang, nach Vaters Unfall, war er praktisch pausenlos hier gewesen. Ohne seine Pflege, seinen Glauben und Zuspruch hätte Vater nicht überlebt, sagte Mutter.
«Das Bett ist fertig», sagte Ida, als schließlich das Kissen dick und bauschig und die Decke einladend aufgeschlagen auf dem großen Bett lagen.
«Soll ich es Ihnen auch anwärmen?»
«Eine Wärmflasche wäre in der Tat zu begrüßen. Dieser Teil des Hauses ist doch immer etwas klamm und kalt, nicht wahr?»
Der Professor zog sein Jackett aus und hängte es über den Stuhl. In Hemdsärmeln sah er noch viel begehrenswerter aus, und Ida stellte sich vor, die nackte Haut seiner Brust zu berühren. Sicher war sie ganz glatt.
«Es würde viel schneller gehen, wenn ich mich einfach hineinlegte.»
Jetzt legte er die Manschettenknöpfe ab.
«Wie bitte?»
«Sie … ich …»
Ida wusste plötzlich nicht mehr, was sie sagen sollte. Vor einer Sekunde hatte sie sich noch vollkommen sicher gefühlt, sie kannte alle wichtigen Sätze auswendig, die man in solchen Situationen sagen konnte, sie hatte viel aus dem Buch der Meisterschülerin gelernt. Ihre Worte waren ihr wie eine unfehlbare Magie erschienen. Doch was tat man, wenn der Mann die Bannsprüche nicht verstehen wollte? Das Buch … irgendetwas war doch damit … später. Sie sammelte sich und nahm einen neuen Anlauf.
«Wollen Sie denn die Schlange nicht herauslassen, Herr Professor? Ich werde sie schon zu locken wissen.»
Seine dunklen Augen waren auf sie gerichtet, sein Gesicht war ernst, und ein Schauer der Erwartung durchfuhr Ida.
«Bitte», flüsterte sie. «Ich weiß genau, wie ich es anstellen muss. Sie werden es nicht bereuen.»
Erst jetzt wandte er sich ihr voll zu, nahm ihr Kinn in seine große Männerhand.
«Ida, ich weiß dein Angebot zu schätzen. Aber ich weiß nicht, woher du diese Ideen nimmst. Du bist nicht nur die Tochter meines besten Freundes, du bist auch ein Kind. Wie könnte ich dich anrühren?»
Ida drängte sich an ihn.
«Ich bin kein Kind! An mir ist alles dran, was eine Frau haben muss. Sie können sich selbst überzeugen.»
Er schob sie von sich.
«Ida, selbst wenn es stimmt, es kommt nicht in Frage. Ich möchte solche Ansinnen von dir nicht mehr hören. Und es wäre schön, wenn ich eine Wärmflasche bekäme.»
Ida stand da und wusste nicht, was sie tun sollte. Sie schämte sich zu sehr, um sich überhaupt bewegen zu können.
«Vielleicht gehst du jetzt in die Küche hinunter, um Wasser aufzusetzen?», fragte der Professor, ohne sie anzusehen.
Ida bemühte sich, die Tür möglichst geräuschlos zu schließen.
Als sie eine halbe Stunde später mit einem Teller mit kaltem Braten und Obst zu Hetti hinauf in ihre Kammer ging, kämpfte sie noch immer gegen Tränen der Enttäuschung und Scham.
Hetti setzte sich im Bett auf und schlug die Decke zurück. Sie war vollständig angezogen und sah verschwitzt und rot im Gesicht aus, aber nicht so, als ob sie geschlafen hätte, sondern eher so, als hätte sie geweint.
«Ida, ich habe schon so sehr auf dich gewartet, ich muss dir etwas sagen!»
Ida stellte das Essen auf den Waschtisch, ließ sich auf den Stuhl fallen und tat endlich, was sie unter den Augen der Mutter und Schwestern nicht konnte, und ließ den Tränen freien Lauf.
«Ida! Was ist los, was ist geschehen?»
«Er liebt mich nicht, er will mich nicht.»
«Wer?»
«Felix.»
«Professor Regenmacher?»
Ida nickte.
Hettis Blick wanderte unstet im Raum umher. Sie zögerte, und in Ida keimte ein schrecklicher Verdacht.
«Hetti? Was musst du mir sagen?»
«Professor Regenmacher.»
«Ja …?»
«Er ist der Mann mit dem Opernglas. Er ist der Mann, der mich seit Wochen beobachtet hat. Ich kann ihm nicht entkommen, nicht einmal hier. Und er macht mir Angst. Was will er von mir? Warum bin ich hier?»
Idas Verdacht, ein lächerlicher, alberner Verdacht, dass Hetti ihr Regenmacher wegnehmen könnte, verwandelte sich in blankes Erstaunen.
«Ist das dein Ernst? Du meinst, es ist tatsächlich derselbe Mann? Nicht nur eine Ähnlichkeit?»
«Ich bin mir vollkommen sicher, dass er derselbe ist. Ohne jeden Zweifel. Er ist es. Zuerst dachte ich, ich bilde ihn mir nur ein, ich habe ihn schon einmal gesehen, nachts, vom Fenster aus, als ich Fieber hatte. Und dann heute unten
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