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Kaltes Herz

Kaltes Herz

Titel: Kaltes Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Freise
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Henriette an, in ihren gestärkten Schürzen, dampfende Schüsseln mit Kartoffeln und Rübchen in den Händen.
    «Ich habe nur das Gesangbuch zurückgebracht, ich hatte es aus Versehen mitgenommen», sagte Henriette.
    Die Zwillinge antworteten nicht und starrten sie weiter an, während sie ihren Weg in die Essstube fortsetzten. Sicher würden sie Henriette bei Tante Johanne anschwärzen. Und auch der nächste Tag würde eine Strafe für sie bereithalten. Henriette konnte sich nicht daran erinnern, je ernsthaft bestraft worden zu sein. Und doch begann sie nach so kurzer Zeit, sich daran zu gewöhnen und es als notwendige Begleiterscheinung ihres Lebens hinzunehmen. Schnell lief Henriette hinauf, schloss die Tür, zog nur die Schuhe aus, legte sich angezogen ins Bett und zog sich die Decke über den Kopf. Sie musste nachdenken, wie sie hier wegkommen konnte. Morgen wollte sie hier weg.
     
    «Ich denke, es ist Zeit für einen Toast», sagte Professor Regenmacher, und Idas Mutter warf ihr einen Blick zu, der nicht nötig gewesen wäre. Sie wäre auch so gleich aufgestanden, um eine Flasche guten Wein zu holen und die Chance zu nutzen, die Hand des Professors zu streifen, wenn sie ihm die Flasche zum Entkorken reichte.
    Vaters Heulen und Wüten im Westflügel war verstummt, seit der Professor bei ihm gewesen war, keine Viertelstunde hatte es gedauert, ihn zu beruhigen, und der Professor war guter Dinge. Er schenkte ein, und sogar Ida bekam ein ganzes Glas.
    «Wir sind übereingekommen, dass ich noch diese Woche eine erste Serie von Geräten in Produktion gebe und zum Patentamt gehe.»
    Dann hob er das Glas mit dem im Lampenschein rubinrot leuchtenden Wein, es sah aus wie eine heilige Flüssigkeit, und der Toast kam Ida vor wie ein Zauber. Etwas Großes wurde hier begangen, und sie war freudig erregt. Vielleicht lag es auch nur an der Nähe des Professors oder daran, dass ihr zum ersten Mal im Leben erlaubt wurde, Wein zu trinken. Sicher hätte Mutter es nicht erlaubt, nur schien sie abwesend und fast ängstlich heute, vielleicht widersprach sie dem Professor darum nicht.
    «Auf das große Werk!», sagte der Professor, und sie hoben alle ihre Gläser.
    «Auf das große Werk», sagte auch Mutter, doch klang es bei ihr viel weniger begeistert.
    Der Wein rann heiß und kalt zugleich Idas Kehle hinab, er schmeckte süß, und sie spürte, wie ihre Wangen zu glühen begannen.
    «Nun brauchen wir nur noch das nötige Kleingeld», sagte der Professor. «Dabei wird es doch keine Probleme geben, Johanne?»
    Ida bemerkte, dass es so aussehen sollte, als sei ihm dieser Gedanke erst in diesem Moment gekommen, doch der Professor war ein schlechter Schauspieler. Er spielte ein Spiel. Er wollte provozieren. Irgendetwas lag im Argen, und Ida wollte wissen, was es war.
    «Natürlich nicht», sagte Mutter. «Und Heinrich ist wirklich wieder ganz bei Sinnen?»
    «Ich sagte es ja, es war nichts als ein Anfall ungewöhnlich heftiger Schmerzen. Er hat mehr Morphium genommen als sonst. Die Eigenschaften der Droge sind noch wenig erforscht, und er hat Dinge gesehen, die ganz offensichtlich nicht existierten.»
    Der Professor leerte sein Glas.
    «Noch jemand einen Schluck?», fragte er. «Sollen wir noch eine Flasche opfern?»
    «Ich denke, eine genügt», sagte Johanne mit Bestimmtheit. «Wir trinken sonst keinen Wein. Die Kinder schon gar nicht.»
    Der Professor lächelte. «Nun, dann werden sie heute Nacht besonders gut schlafen, nicht wahr?»
    «Vermutlich.»
    Der Professor stand auf. «Ich hoffe, die Damen sind nicht enttäuscht, wenn ich mich nun zurückziehe. Ich habe einen langen Tag hinter mir und sehne mich nach meinem Bett.»
    Ida sprang auf und musste sich an der Tischkante festhalten. Ihr war schwindelig von dem Wein.
    «Ich bin noch gar nicht dazu gekommen, es zu beziehen, Herr Professor. Wenn ich mit hinaufkommen darf, dann mache ich das jetzt sofort.»
    «Dann bitte ich darum», sagte er, und Ida meinte, ein amüsiertes Funkeln in seinem Blick sehen zu können, etwas, das ihr ein Flattern im Magen und Hoffnung im Herzen machte.
    Als der Professor hinter ihr die Treppe hinaufstieg, fühlte Ida sich unsicher auf den Beinen. Es konnte am Wein liegen oder auch an den Blicken, die sie in ihrem Rücken spürte. Sie öffnete den Wäscheschrank im Flur, ihr Blick streifte die Decken, die über dem Violinkasten lagen, den sie für Hetti heraufgeschmuggelt hatte. Sie holte frisches Bettzeug heraus und trug es an den Zimmern der Mädchen

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