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Kaltes Herz

Kaltes Herz

Titel: Kaltes Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Freise
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dem plötzlich hellen Licht blinzeln.
    Die beiden Polizisten nahmen ihn in die Mitte und führten ihn durch den Haupteingang in ein Verwaltungsgebäude, wo man seine Personalien aufnahm, ihm seine Brieftasche wegnahm – zehn Mark und vier Sechser waren noch darin –, so wenig war von seinem Reichtum nach nur wenigen Wochen übrig geblieben, ohne dass er Arbeit gefunden hatte, und dann musste er auch die Uhr abgeben, ein letzter Blick darauf verriet ihm, dass es kurz vor sechs am Abend war. Seine Kleidung wurde gegen einen grauen Drillichanzug eingetauscht, noch schäbiger und abgewetzter als die Kleidung, mit der er in Berlin durch die Straßen gezogen war, bevor er die Brieftasche an sich genommen hatte. Charlie quittierte die Liste, auf der seine persönlichen Gegenstände aufgelistet waren, dann kam alles in eine große braune Papiertüte und verschwand irgendwo in dem riesigen Gebäude.
    Weiter ging es durch verschiedene Türen, die ein untersetzter Wärter vor ihnen auf- und hinter ihnen wieder zuschließen musste, in einen zentralen Raum, von dem strahlenförmig vier Zellentrakte abgingen. In der Mitte des Raumes befand sich ein Wärterhäuschen, von dem aus man einen Rundblick auf alle Zellentrakte hatte. Sollte sich ein Häftling tatsächlich aus einer Zelle davonstehlen können, würde man es von hier aus sofort sehen.
    Charlies Wärter grüßte die beiden Männer in dem Häuschen und bedeutete Charlie mit dem Schlüsselbund in der Hand, dass er in den linken vorderen Trakt kommen würde.
    «Wahrscheinlich geht’s ja bald weiter Richtung Heimat», sagte er, während er die Gittertür aufschloss, Charlie hindurchgehen ließ und hinter ihnen wieder abschloss.
    Jetzt befanden Sie sich in einem endlos erscheinenden Gang, von dem links und rechts ebenfalls mit Gittertüren versehene Zellen abgingen. Lauter Einzelzellen, und in keiner von ihnen schien es Raum zu geben, um sich den Blicken zu entziehen. Alles war preisgegeben, als Charlie an den Zellen vorbeilief, der Schlaf der Gefangenen, ihre Stumpfheit oder das Feuer in ihren Augen, ihre Langeweile. Ihre Einsamkeit. Die Zellen waren kahl, nur mit einer Pritsche und einem Stuhl ausgestattet. Keine Lampen, keine Kerzen, keine Vorhänge, um sich ein wenig Privatsphäre zu verschaffen.
    «Frau Liese», murmelte Charlie, als ihm seine Wirtin einfiel. Hoffentlich kümmerte sich Willem darum, seine Habseligkeiten dort abzuholen und zu Professor Altheim zu bringen.
    «Hier gibt’s keine Weiber», sagte der Wärter mit einem hässlichen Lachen und schloss die fünfte Zelle links für ihn auf. Charlie nahm einen tiefen Atemzug und trat über die Schwelle. Der Gedanke, hier allein gelassen zu werden, schreckte ihn mehr, als er sich vorgestellt hatte. Schnell drehte er sich um, blickte den Wärter an, sah in sein graues Gesicht. Er sah selbst wie ein Gefangener aus.
    «Wann bekomme ich einen Anwalt?»
    «Jetzt ist Abend. Morgen sehen wir weiter.»
    «Aber …»
    «Wünsche angenehme Ruhe», sagte der Wärter und verschwand aus Charlies Blickfeld.
    «He!» Er drückte das Gesicht ans Gitter und versuchte, den Gang hinunterzusehen.
    «Neu hier?»
    Der Mann in der Zelle gegenüber, der ihn angesprochen hatte, trug Anstaltskleidung. So sehe ich also aus, dachte Charlie.
    «Ja. Guten Abend.»
    «Ausgefressen?»
    «Ich habe nichts ausgefressen.»
    Der Mann, drahtig und mit Halbglatze, winkte ab und legte sich mit hinter dem Kopf verschränkten Armen auf seine Pritsche.
    Er schien das angefangene Gespräch nicht fortsetzen zu wollen.
    Charlie zog die flachen, etwas zu kurzen Schuhe aus, die man ihm gegeben hatte und legte sich ebenfalls auf die Pritsche. Die grobe Wolldecke stank nach Desinfektionsmitteln und machte es ihm schwer, einen klaren Gedanken zu fassen, statt sich der Angst hinzugeben. Wie wurde im Deutschen Reich mit Diebstahl umgegangen, mit Einbruch? In der Brieftasche waren immer noch die Visitkarten des Braumeisters. Es würde schwer werden, sich da herauszureden. Besonders wenn man den Braumeister befragen würde. Oder wenn er bereits Anzeige erstattet hatte, was wahrscheinlich war. Und der Fall Ada Keller lag ohnehin klar. Und dann war da noch ein Gedanke, Charlie wollte ihn aussperren, aber er klopfte immer wieder an die Tür seines Verstandes, und er schaffte es nicht, ihn wegzuschicken: Was, wenn man mich nach Hause schickt? Was, wenn ich zurück nach London muss? Lieber wollte Charlie hier eine Strafe absitzen, als zurückzugehen. Was, wenn man ihn in

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