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Kaltes Herz

Kaltes Herz

Titel: Kaltes Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Freise
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eine zweite Tür auf der anderen Seite des Raums aufgeschlossen.
    Herein kam, mit seinem typischen Grinsen und sich verlegen am Kopf kratzend, Willem.
    Charlie stand wieder auf und schloss den Jungen fest in die Arme. Er freute sich, ihn zu sehen, aber er hatte auch das Gefühl, Trost spenden zu müssen.
    «Tut mir leid, dass ich dich in Schwierigkeiten gebracht habe, Willem», sagte er, als sie sich setzten. «Das war nicht meine Absicht.»
    Willem winkte ab. «Weiß ich doch.»
    «Wie ist es dir ergangen?», wollte Charlie wissen.
    «Gut. Ich habe Ihnen etwas zu lesen mitgebracht. Damit es nicht so langweilig wird. Ich habe sie auf dem Abtritt gefunden, es sind Noten. Altheim sagt, dass Sie die besonders gerne lesen.»
    Willem zog ein schlankes schwarzes Album unter seiner Jacke hervor und schob es über den Tisch.
    In Charlies Magen begann es zu flattern, eine Ahnung, eine Hoffnung, er wusste nicht genau, worauf, aber es musste eine Bedeutung haben, wenn Altheim ihm Noten schickte.
    Er nahm das Album entgegen, wagte aber nicht, hier unter den Augen des Wächters darin zu blättern.
    «Und das hast du einfach so mit hereinnehmen dürfen?», fragte er.
    Vielleicht hatte Altheim etwas zwischen den Seiten versteckt. Es würde ihm ähnlich sehen, unvorsichtig, wie er war.
    «Na ja, sie haben es sich schon erst angeguckt. Aber es sind halt nur Noten. Der Professor sagt, Sie werden sie besonders interessant finden, wenn Sie auf die Akkorde und Interwellen achten, die er drübergeschrieben hat.»
    «Er meint bestimmt Intervalle?»
    Willem zuckte die Achseln.
    «Kann schon sein. Was weiß ich.»
    «Und wie geht es Professor Altheim?»
    «Der fühlt sich schuldig, weil er sich so dumm benommen hat. Jetzt versucht er, Sie rauszuholen.»
    «Und wie ist es mit Frau Liese? Hat sie dir gekündigt? Du kannst ja das Zimmer gar nicht zahlen.»
    «Frau Liese ist schwer in Ordnung», sagte Willem und errötete leicht. Charlie fragte sich, ob sie dem Jungen vielleicht auch gewisse Dienste angeboten haben konnte. Aber nein, das war absurd. Der Junge war erst vierzehn. Und Hetti war erst siebzehn, erinnerte er sich. Fast achtzehn. Dennoch, sie war selbst fast noch ein Kind, und er hatte keinerlei Hemmungen gehabt, sie wie eine Frau zu behandeln.
    «Sie lässt mich aushelfen. Dafür kann ich das Zimmer behalten, bis wir wissen, was … mit Ihnen wird.»
    Willem senkte den Kopf.
    Einmal mehr hatte Charlie ein schlechtes Gewissen. «Ich kann dir leider nicht mal Geld geben, um Frau Liese weiter zu bezahlen», sagte er. «Sie haben mir alles abgenommen.»
    «Ja, ist klar. Aber Altheim ist auch schwer in Ordnung, wissen Sie?»
    Charlie seufzte. Ja, ein Gentleman war er bestimmt. Dennoch war Altheims erster Versuch zu helfen ziemlich gründlich danebengegangen. Hoffentlich legte er sich nicht zu sehr ins Zeug.
    Die Tür hinter Willem wurde wieder aufgeschlossen, ein Beamter trat ein.
    «So, Schluss für heute», sagte er.
    Willem stand auf und reichte Charlie die Hand.
    «Wiedersehen», sagte er. «Und viel Spaß beim Lesen.»

[zur Inhaltsübersicht]
    20
    H enriette erwachte mit einem Ruck, als die Wasserkanne vom Waschtisch fiel und auf dem Boden zersprang.
    «Ida?!»
    Sie bekam keine Antwort.
    Von ferne drang ein Geräusch herauf, Metall auf Metall, beinahe ein Kreischen, das Henriette eine Gänsehaut bereitete. Die Mangel im Keller, die sie letzte Nacht als Quelle des ständigen Rollens und Bebens unter ihren Füßen kennengelernt hatte, schien mit verstärkter Kraft zu arbeiten. Bei jedem Hin und Her erschien Henriette der Ruck, der durchs ganze Haus ging, stärker als sonst. Wahrscheinlich hatte die Wasserkanne sich auf der Marmorplatte des Waschtisches selbständig fortbewegt, mit jedem Rucken ein weiteres winziges Stückchen.
    «Ida?»
    Idas Bett war noch immer genauso leer wie letzte Nacht, als Henriette von ihrem Ausflug mit Professor Regenmacher zurückgekehrt war. Und jetzt war es längst heller Morgen. Sicher hatten die Mädchen bereits gefrühstückt und waren drüben im Waschhaus. Ein leichter Ärger mischte sich in Henriettes Schrecken.
    Tante Johanne und die Mädchen mussten sie für ein kränkliches, verzärteltes Wesen halten, unfähig zu richtiger Arbeit. Dabei hatte sie gearbeitet, seit sie ein Kind war. Wäsche waschen war schmutziger, schweißtreibender als ihr Beruf. Aber auf eine bestimmte Art war es auch so viel einfacher als die Arbeit, die sie verrichtet hatte und bei der jeden Tag ihre Seele auf dem Spiel

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