Kaltes Herz
hier.
Er stand in der Tür zum Waschhaus, nur ein Schattenriss vor dem Licht, das aus dem Hof hereinfiel, doch seit letzter Nacht würde Henriette seine Silhouette unter Tausenden erkennen. Heinrichs Gesicht blieb schwarz im Gegenlicht.
Katharina und Maria folgten Henriettes Blick.
«Vater?»
Katharina ging auf ihn zu.
Heinrich kam herein, ging mit schnellen Schritten auf seine älteste Tochter zu, streckte die Hände nach ihr aus.
Katharina schrie nicht, doch wich sie unwillkürlich zurück, und als Heinrich sie an den Schultern fasste und unverständliche Laute ausstieß, kniff sie die Augen zusammen und presste die Hände auf die Ohren.
Heinrich ließ von ihr ab, wandte sich suchend um.
Als sein Blick auf Maria fiel, hielt er inne. Henriette sah die Tränen, die sich in seinen Augen sammelten.
«Was ist geschehen?», fragte sie. «Soll ich dir etwas zum Schreiben besorgen, Onkel?»
Heinrich nickte.
«Ich bin gleich zurück», sagte Henriette und zog die schreckensstarre Maria an der Hand hinter sich her, als sie sich auf den Weg machte. Hinter sich hörte sie Schritte auf der Treppe, Ernestine und Hulda kamen aus der Plättstube herunter, um, neugierig wie immer, nachzusehen, was unten los war.
Als sie sich umblickte, sah sie, dass Heinrich ihr und Maria folgte, der Ausdruck in seinen Augen zeugte von unsagbarem Schmerz, und plötzlich stieg Angst in Henriette auf. Etwas stimmte nicht, etwas war fürchterlich falsch. Maria klammerte sich an ihren Arm. Sie sagte nichts, doch sie war weiß wie die Laken, die im Hof auf den Leinen flatterten.
Als sie durch die Seitentür ins Haupthaus kamen, fiel Henriette auf, dass die Mangel erneut ihre Arbeit intensiviert zu haben schien, in der Essstube klirrte leise der Kristalllüster. Die Tür zum Westflügel stand noch immer offen.
Henriette lief geradeaus den unteren Flur entlang, der zu Tante Johannes Geschäftsräumen führte, um Papier und Bleistift zu holen. Heinrich folgte ihr und drängte sich, als sie die Tür erreichten, an ihr vorbei und riss sie auf.
Tante Johanne saß hinter ihrem Tisch, den Kopf in die Hände gestützt, in der Rechten den Federhalter, über einem großen blauen Buch brütend.
«Kannst du nicht klopfen, Ida?», fragte sie mit müder Stimme. Dann erst blickte sie auf.
«Heinrich!»
Tante Johanne stand auf, klappte das Buch zu, in dem Henriette von ferne lange Zahlenkolonnen erkannte, legte den Federhalter in eine längliche Schale aus Speckstein, damit keine Tinte auf den Tisch tropfte.
«Entschuldige, Tante. Er stand plötzlich im Waschhaus. Er braucht etwas zum Schreiben.»
Die Sekunden, in denen nichts zu hören war außer dem Kratzen von Heinrichs Feder auf dem Papier, erschienen Henriette wie eine Ewigkeit. Heinrichs Hände zitterten, er musste mehrmals neu ansetzen, und Henriette hielt Marias Hand noch ein wenig fester, ließ den Blick durch den Raum schweifen – polierte Eichenmöbel, ein Kruzifix an der Wand, keine Teppiche, schlicht und zweckmäßig, bis auf eine kleine Porzellanvase mit halb verwelkten Frühlingsblumen auf Tante Johannes Schreibtisch. Und an der Wand dahinter ein Riss, die helle Tapete hatte sich gelöst, ein wenig abgebröckelter Putz lag auf den Dielen davor.
Heinrich übergab Johanne das Geschriebene.
Johanne las, ließ das Papier fallen, stürzte aus dem Büro und rannte mit gerafften Röcken den Flur hinab.
Heinrich stützte sich schwer auf Johannes Schreibtisch ab, der Atem pfiff durch sein zerstörtes Gesicht, während über ihm Putz von der Wand rieselte. Dann ließ er sich auf den Boden nieder, legte die Stirn auf die Dielen wie ein Muselman beim Beten, und sein Hausmantel breitete sich um ihn aus wie die Schwingen eines großen Vogels.
Henriette ließ Marias Hand los und griff nach dem Blatt, das auf dem Fußboden lag.
Ida ist tot. Die Maschine hat sie – – –
Der Satz brach ab, aber es hätte auch nichts geändert, wenn mehr dort gestanden hätte, Henriettes Geist vermochte es nicht zu fassen.
Sie spürte die Erschütterungen unter den Füßen, sie dachte an die Walzen, an die Gewalt, an den Lärm dort unten. Was hatte Ida dort zu schaffen? Was sollte das heißen?
Henriette legte den Zettel zurück auf den Tisch.
«Komm», sagte sie zu Maria, die ihre Kinderhand wieder in Henriettes Hand legte, eiskalt war sie.
Als sie Heinrich im Büro zurückließen und hinauf zu den Schlafkammern gingen, fand Maria ihre Sprache wieder.
«Was ist los, Henriette?»
Henriette
Weitere Kostenlose Bücher