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Kaltes Herz

Kaltes Herz

Titel: Kaltes Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Freise
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stand.
    Henriette schlug die Bettdecke zurück, und ihr Blick fiel auf den Beutel, der darunterlag. Sie hatte mit der schmutzigen Wäsche von Professor Regenmacher im Arm geschlafen. Auch Idas Buch lag im Bett, aufgeschlagen, mit verknickten Seiten. Sie trug auch immer noch ihr Schultertuch und die Hausschuhe. Sie musste wirklich verwirrt gewesen sein. Vorsichtig nahm Henriette das Buch in die Hände, strich die Seiten glatt und legte es zurück in Idas Versteck.
    Der Gedanke an Professor Regenmacher bereitete ihr ein flaues Gefühl im Magen, sie wollte nicht an ihn denken. Letzte Nacht hatte sie sich einen Moment lang an ihn lehnen wollen, um nicht mehr so allein zu sein. Mutter schrieb nicht, Tante Johanne lehnte sie ab. Und Charlie war nicht gekommen. Es war Zeit, den Tatsachen ins Gesicht zu sehen: Er hatte auf ihren Brief nicht reagiert. Er hatte nicht geantwortet. Vielleicht war Professor Regenmacher nicht die schlechteste Alternative.
    Henriette kämpfte die Tränen nieder, zog sich an, nahm den Beutel mit der Wäsche und ging nach unten. Die Tür zum Westflügel stand sperrangelweit offen, und von Tante Johanne war nichts zu sehen. Vielleicht war sie in ihrem Büro. Was sie wohl zu Professor Regenmachers Antrag sagen würde? Und noch wichtiger – was würde ihre Mutter dazu sagen?
     
    Im Waschhaus stand schon alles unter Dampf.
    «Wo ist Ida?», fragte Henriette Katharina über das Pumpen der Automaten hinweg.
    Katharina strich sich eine feuchte Haarsträhne aus der Stirn und zog die Schultern hoch.
    «
Du
schläfst doch mit ihr zusammen.»
    Es klang, als sei es Henriettes Schuld, dass Ida noch nicht zur Arbeit gekommen war.
    «Aber wo kann sie denn sein?»
    «Keine Ahnung», sagte Katharina und wandte sich einer Schleuder zu, die singend zum Stillstand kam und entladen werden wollte.
    Henriette stand daneben, ihre Sinne verstrickten sich erneut in die Rhythmen und Klänge dieses nebligen Zauberlands mit seinen Maschinen, sie lauschte auf die Musik wie auf den Gesang von unterirdischen Feen, die den Wanderer ins Unheil …
    «Du stehst im Weg», sagte Katharina, einen großen Korb in den Armen, in dem die Wäsche aus der Schleuder aufgetürmt war. Henriette trat zur Seite und besann sich. Wenn sie Professor Regenmachers Wäsche losgeworden war, würde sie Ida suchen. Es entsprach ihr nicht, einfach zu verschwinden und niemandem Bescheid zu sagen.
    Henriette ging zu den Einweichbecken, zog das Band des Wäschebeutels auf und schüttelte die Wäsche in die blau-milchige Lauge. Beinahe hätte sie das Glucksen überhört, beinahe hätte sie übersehen, wie etwas Kleines, Dunkles sich aus dem Beutel löste und in der Lauge verschwand.
    Ihre Hand folgte dem Gegenstand reflexartig, ihr Arm tauchte tief in die Lauge, ihr Ärmel wurde nass. Am Boden des Beckens fühlte sie etwas Hartes und zog es heraus, es war oval und passte leicht in Henriettes geschlossene Faust. Eine feingliedrige Kette hing daran, das Silber war angelaufen. Es war ein Medaillon von der Größe eines Wachteleis, Blüten rankten sich über den Deckel, und am Rand fand sich eine Einkerbung für den Daumennagel, damit man es öffnen konnte. Henriette trocknete das Medaillon an ihrer Schürze ab und öffnete es.
    Lauge war eingedrungen und hatte die Tinte auf dem gelblichen Papier verlaufen lassen, das in der linken Seite steckte. Henriette tupfte es vorsichtig ab und drehte sich ins Licht, das durch eines der hochgelegenen Fenster hereinfiel.
    Mein kaltes Herz
    Henriette richtete den Blick auf die rechte Seite des Medaillons, tupfte auch hier die milchige Flüssigkeit fort. Darunter kam eine Miniatur zum Vorschein, ein winziges Ölgemälde. Ein Porträt.
    Es zeigte Henriettes Gesicht.
    «Zeig mal, was ist denn das?»
    Plötzlich stand Katharina hinter Henriette und machte einen langen Hals, und auch Maria kam, angezogen von Katharinas Neugier. Katharina griff nach dem Medaillon, doch Henriette zog es weg und klappte es zu.
    «Nur etwas von meiner … Mutter. Es ist mir ins Becken gefallen.»
    Henriette steckte das Medaillon in die Schürzentasche und tauchte beide Arme ins Einweichbecken, um Professor Regenmachers Wäsche gleichmäßig zu verteilen. Die Nässe kroch ihr die Ärmel empor und kribbelte auf der Haut. Sie würde das Medaillon im Violinkasten oben im Flur verstecken. Am besten jetzt gleich. Und dann würde sie Ida suchen gehen. Sie zog die Arme aus der Lauge und wandte sich um. Ein Schreckenslaut brach aus ihr hervor.
    Heinrich war

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