Kaltgeschminkt (German Edition)
nicht Watson?«
»In der Tat, Miss Adler. Wie kam der Mörder so nah an ihn heran? Sein Gärtner etwa? Seine eifersüchtige Frau?!«
»Fast! Der Chauffeur. Er hat ihn wohl ein wenig zu gering geschätzt, um es mit deinen Worten auszudrücken. Mann, das gefällt mir, diese Art zu sprechen. Superb!«, ruft er aus und dreht sich spielerisch wie ein kleines Mädchen.
»Ich sage niemals `superb`. Also, eine Tat aus Hass? Eifersucht?«
»Wohl kaum. Aber das ist auch nicht unser Problem. Unsere Aufgabe ist es, den guten Mann wieder zusammenzuflicken, was ich ein paar Mal versucht habe. Ohne den kleinsten, beschissenen Erfolg. Viola!«
Die Berichtigung seines – sicher absichtlich tumben – Ausrufes bleibt mir im Hals stecken. James hat das dicke Leinentuch fortgezogen und ich blicke auf einen weit offen stehenden Brustkorb, in den wenigstens fünf, eher sechs bis acht Mal, mit voller Wucht eingehackt wurde. Die Rippen stehen zum Teil zu den Seiten hin weg, Fleisch und Gewebe hängt … - kurzum, es ist kein schöner Anblick.
Für einen Moment wende ich mich ab und atme langsam aus, bis meine Lungen komplett leer sind. Meine verkehrten Brüder tun es mir nach. Das Gute rein, das Böse raus, nur dass da leider ein Überschuss an Bösem in mir besteht. Also japse ich nach mehr Luft. Gefasst wende ich mich um, James´ belustigtes Grinsen ignorierend, und betrachte die Leiche genauer. Am Hals entdecke ich ein paar tiefe Kratzspuren; wahrscheinlich Versuche, dem herabsausenden Mordinstrument auszuweichen. Man - also James oder sein Partner - hat versucht, die Wunden zu nähen, wodurch ich ein paar Reste von Fäden erkenne. Die Wundränder sind von der Nadel unsauber durchlöchert. Es sieht aus wie ein haarfein gelochter Stoffrand. Auch an der restlichen Haut am Brustkorb erkenne ich dieses Muster.
»Wer hat das hier gemacht?«, frage ich und deute vage auf die beschädigte Pergamenthaut. Es gehört nämlich keineswegs zu unseren Aufgaben, den Leichnam auszunehmen oder ihn in jedweder Art anatomisch zu bearbeiten. Dies ist ausschließlich Aufgabe des forensischen Anthropologen und genauso ist es auch in Ordnung.
»Ich. Ich bin der Einzige hier, der diese Arbeit machen darf, und – bei aller falschen Eitelkeiten – auch machen kann.«
»Aha. Und was hat dein Partner für eine Aufgabe?«
»Der ist meist einfach nur da. Er reicht mir für solche Aufträge die Instrumente, macht sauber, bereitet vor. Solche Sachen eben.«
Ich beuge mich dicht über den grauen Hals. »Also ist er mehr dein Handlanger. Nobel, seinen Namen in diesem Fall direkt neben deinem über die Tür zu setzen.«
»Erstens mal liegt eine Ausbildung als äußerst hervorragend ausgebildeter Bestatter vor. Außerdem übernimmt so jemand die seltenen einfachen Fälle hier. Altersschwäche, Schlaganfall, Autounfall und das ganze unspektakuläre Zeug. Es gibt da ein paar Regeln, McLiod.«
Ich strecke knirschend meinen Rücken durch. »Gut. Und die wären?«
Er holt tief Luft und zählt an den Fingern auf: »Erstens: Ich allein bearbeite hier die Aufträge, die mit einem schwarzen Zettelchen hereinflattern.
Zweitens: Solche Aufträge bleiben in diesem Raum. Niemand erfährt, welche Körper hier bei mir präpariert werden. Nach dem Job schafft sie der Bote dorthin, wo sie hingehören.
Zwei A: Wohin ist mir egal.
Drittens: Es sind ausnahmslos böse Menschen. Korrupte, Betrüger, Vergewaltiger, der ganze Mist.
Viertens: Und keinesfalls sind sie im Schlaf gestorben; je gewaltsamer, desto besser. Und welche Leiche diese Voraussetzungen nicht erfüllen kann, wird gar nicht erst meine Leiche.
Vier A: Die Mörder interessieren uns nicht.
Fünftens: Meine Arbeit ist etwas besonderes, weil ich ihnen etwas mitgebe auf ihrem letzten Weg. Etwas, mit dem mich der SM-Bote versorgt. Eine Essenz. Niemand außer mir und Mr. Miller hat – pardon – hatte diese Essenz und wird sie auch nicht bekommen. Es sei denn, er ist ebenso lebensmüde wie bescheuert, dann muss er sie aus meinen erkalteten Fingern brechen.
Sechstens: Die einmalige Ausnahme: du. Für diesen einen Job. Du richtest den toten Mistkerl her, ich habe ihm zuvor das Elixier verabreicht. Meine Partnerin erledigt die Drecksarbeit für dich und biegt die Rippen wieder zurück, wo sie hingehören. Falls du schaffst, was ich diesmal aus irgendeinem verdammten Grund nicht hinbekomme, wird sich in der nächsten Zeit einiges für dich ändern. Wenn du versagst, gehst du wieder zurück in Schneewittchens
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