Kaltgeschminkt (German Edition)
immer weiter, bis ich nicht mehr glaube, dass der Hamburger Boden einen solchen hat. Plötzlich sind wir da und ich tapse wie ein Betrunkener auf felsigen Grund. Benommen von dem spiralförmigen Abgang folge ich meinem Führer schwankend in einen kleinen, spärlich beleuchteten Felsenraum. Er ist, bis auf einige wenige Hängeschränke und eine viel zu edle Ebenholzkommode, leer. Erst als James die Beleuchtung heller reguliert, erschrecke ich beinahe zu Tode.
Überall stehen breitschultrige Männer in schwarzen Anzügen. Ihre Gesichter sind kaum mehr als helle Flecke, doch ich sehe die Missbilligung und maßlosen Unmut sogar in ihren verwischten Zügen. Überrascht stolpere ich einen Schritt zurück und sie, sie tun es mir nach. Viel zu langsam erkenne ich mich selbst in den gehetzten Figuren. Von allen Wänden und sogar der Decke blicken sie geringschätzig zu mir her. Die meisten Spiegel sind mannshoch und so breit, dass ich mich mit weit ausgebreiteten Armen noch ganz in ihnen sehen kann. Einige kleine stehen an die Wände gelehnt und vermitteln so den Eindruck, als befände man sich immerzu bis zu den Knien im Boden. Die Atmosphäre drückt meine Eingeweide auf Würfelgröße zusammen.
»Beeindruckt?«, fragt James in meinem Rücken.
»Kaum.« Ich wahre mein Gesicht.
»So kann ich meine Arbeit besser im Auge behalten«, meint er knapp.
Mich allerdings würde es eher früher als später gänzlich wahnsinnig machen. Allerdings, wie kindisch von mir, einen Hinterhalt vermutet zu haben! Ich muss mich dringend zwingen, mehr mit Menschen Kontakt zu haben.
James öffnet eine kleine in die gegenüberliegende Wand eingelassene Eisentür. Eilig zerrt er einen Wagen heraus, wie ich ihn aus alten Bestattungsmuseen kenne. Er benötigt mehrere Anläufe, da sich wohl irgendetwas von innen verhakt hat. Mit einem gewaltsamen Ruck, dem ein sehr unschönes Knirschen folgt, hat er es schließlich geschafft.
Ich erzähle James von dem Eindruck, den seine alten Geräte auf mich machen und er sagt: »Beinahe, Inspektor Whicher. Nur, das hier hat nicht das Geringste mit diesen sinnfreien amerikanischen CSI-Filmchen zu tun, die in Diskothek-ähnlichen Laboren mittels schicker Science Fiction unlösbare Fälle lösen. Komm ruhig näher.«
Er zupft mich am Ärmel zu sich hin. Er schlägt das Leichentuch ein wenig zurück, so dass der nackte Körper bis zum Schlüsselbein sichtbar wird. »Darf ich vorstellen: Mr. Ruthger Salamander. Sehr erfreut.« Er verneigt sich spielerisch vor dem Toten auf dem Rolltisch.
»Aha. Und was kann er?«
»Was er kann?« James räuspert sich hinter vorgehaltener Faust. »Na ja, er sollte ein zukünftiger Primeminister werden. Ein ganz hohes Tier. Na ja, nun eher nicht mehr.«
»Irland. Und was macht er dann hier in Deutschland?«
»Ich arbeite international. Von japanischen Foltermeistern, kongorianischen Frauenschlächtern bis hin zum österreichischen Finanzbeamten. Die sind am …«, er macht eine irre Geste mit dem Fingern, »… gruseligsten. Ich bin das Zentrum in diesem Spiel, verstehst du. Ich bin das Tor zu dem sie alle kommen müssen, wenn sie hindurch wollen. Wie eine Pilgerstätte für besonders niederen Abschaum. Mann, das ist ein geiles Gefühl, Alter.«
Er legt mir den Arm um die Schulter und wir betrachten eine Weile den toten Mann vor uns. Er ist etwas über Fünfzig. Graumeliertes volles Haar, ein gebräuntes kantiges Gesicht. Ich habe ihn noch nie in meinem Leben gesehen, was eventuell daran liegt, dass ich weder Zeitung noch Fernsehen zu meinen nicht vorhandenen Informationsquellen zähle. Nachrichten machen mich krank, nehmen mir noch den letzten kläglichen Rest an Lebensfreude. Da ich künstlich gebräunte Engländer, Iren und Schotten ¬- und vor allem die Waliser - einfach unnatürlich und zum würgen finde, beschließe ich ihn nicht zu mögen. Das Tuch unterhalb seines Halses wirkt merkwürdig deformiert, als läge ein abgetrenntes Hirschgeweih auf ihm. James zieht ein Kärtchen unter dem Körper hervor.
Ruthger Salamander.
British Columbia / Secretary .
Geiz, Irreführung und Verlogenheit.
Feigheit und Pädophilie.
lese ich auf schwarzem, geschöpftem Papier mit silberner Schrift. Nach Grausamkeiten scheint mir die Auflistung jedenfalls nicht sortiert.
»Woran ist er gestorben?«, will ich wissen.
James zuckt die Schultern. »Spitzhacke.«
»Aha. Wo?«
Theatralisch deutet er auf das Geweih. »Mitten in die Brust. Meint man kaum, was? Außergewöhnliche Methode,
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