Kaltgeschminkt (German Edition)
den verwilderten Wald hinter uns gelassen haben. Oder die schmerzliche Sehnsucht nach meinen schottischen Landsleuten und ihren Absonderlichkeiten. Meinetwegen auch Briten, oder - beim Bart der Mondgöttin - die Iren. Völlig egal, denn hier hat eindeutig, wie der völlig antiheroische Romanheld Raoul Duke sagen würde, Fledermausland begonnen.
Beastly & Hammerstein & Mr. Tod
Nach endlosen, quälenden Stunden unruhigen Schlafens in dem rasant dahinbrausenden BMW, der über Kopfsteinpflaster brettert, sind wir schließlich angekommen. ›Disturbed‹ und ›Comby Christ‹ hatten mir die Gehörgänge zerschmettert, aber ich bin jetzt einigermaßen wach. Ich brauche eine Weile bis sich meine Augen für das grausame Übel dahinter öffnen können. James schnellt geradezu aus dem Wagen und hilft mir aussteigen. Er stellt mich wie ein zerknautschtes Paket vor ein massiges kahles Haus, mindestens achtzig Jahre alt, in dem die meisten Fenster verhangen zu sein scheinen. Dennoch hat es etwas majestätisches, wenn auch nicht im ästhetischen Sinn. Das herbstliche Abendlicht bricht sich in den glasklaren Kieseln die den Pfad zur Eingangstür deuten. Es scheint, als laufen wir auf blutigem Gold.
Zaghaft sehe ich mich um und erkenne, dass wir in einem dunklen, sehr alten Viertel abgestiegen sind. Mein Begleiter schultert meine Reisetasche und drückt mir die beiden schwarzen Koffer in die Hand. Zum ersten Mal fällt mir auf, dass er selbst ohne Gepäck gereist ist. Hastig inspiziere ich die Sachen die er auf dem Körper trägt. Mir fällt ein Stein vom Herzen, dass es keine von meinen sind, denn ich kann mich beim besten Willen nicht mehr erinnern, was er außer Schal, Handschuhe und Mantel an jenem Abend bei seiner Ankunft anhatte. Er klemmt sich Besagtes unter den Arm und arretiert mich fast zum Haus. Das massige Gebäude wirkt irgendwie trostlos. Beinahe wie ein trauriger, vornüber gebeugter Greis, der sich auf den Oberschenkeln aufstützt, um uns zu begutachten. Über dem Eingang steht auf einem großen Schild, schätzungsweise Messing:
Bestattungen
BEASTLY & HAMMERSTEIN
*Wir bringen Sie stilvoll über den Jordan*
Ich starre auf den martialischen zweiten Namen dort oben. »Wer ist Hammerstein?«
»Partner«, murmelt James (wenigstens glaube ich das), während er sich eilig auf den Weg macht. Klirrend schließt er die Tür auf, mir bleibt nur übrig, ihm in das aufgerissene Maul des Molochs zu folgen. Sie denken wieder, ich übertreibe. Gut, dass Sie sich nur auf meine Beschreibungen stützen können und nicht mit eigenen Augen sehen. Sonst müssten Sie sich ziemlich schnell die Hosen wechseln und in einem weichen Sessel vergraben, von wo aus Sie einen netten Film mit Elfen in der Hauptrolle schauen. Düstere Häuser soll man nicht unterschätzen. Auch meines nicht, selbst, wenn es wie eine etwas morbide Märchenburg erscheint. Jedes Haus birgt sein Geheimnis; diese alten aus einer gewissen Zeit haben meist eines aus viel Blut und Qual. Wieso sonst strahlen sie wohl diese Aura des Grauens aus?
Von innen ist es eigentlich ein sehr schönes Heim. Dunkle, edle Holzvertäfelungen in jedem Raum, schwere Vorhänge, mit Ornamenten versehene Tapeten an den Wänden, welche ich mir vornehme, auch bei mir anzubringen. Schwere Möbelstücke aus dunklem Nussbaum. Alles verbreitet eine Atmosphäre der inneren Schwere und Entschleunigung. Es drängt mich, mich auf der Chaiselongue auszustrecken und ein paar Wochen durchzuschlafen. Leider würde mir dabei das Gemälde der kreischenden Banshee an der Wand gegenüber nicht viel Ruhe gönnen. Eine Ölpinselei oder so was in der Art. Etwas in mir jedoch spürt eine unsichtbare Präsenz, als würden jemandes Augen jeden meiner müde schleppenden Schritte observieren …
James führt mich in ein wundervolles kleines Zimmer mit Ausblick auf irgendein zerbombtes Mausoleum oder Kapellenruine. Er stellt mein Gepäck auf das Bett und geleitet mich, noch ehe ich mich auf der beinahe schon pervers dicken und überaus einladenden Matratze ausstrecken kann, wieder hinunter. Wir gehen an dem großen Wohnzimmer vorbei durch eine schmale Holztür. Knarrend lässt sie sich von James aufstemmen und fällt langsam mit dem gleichen Geräusch auf Schiefer kratzender Nägel hinter uns zu, so dass sich mir die Haare dort aufstellen, wo ich nie welche vermutet hätte. Endlos wirbeln wir auf unglaublich schmalen Stufen, die von kaum mehr als einem Lämpchen alle hundert Schritte beleuchtet sind, hinab. Und
Weitere Kostenlose Bücher