Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kaltgeschminkt (German Edition)

Kaltgeschminkt (German Edition)

Titel: Kaltgeschminkt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rona Walter
Vom Netzwerk:
nicht zum ersten Mal seit unserem Kennenlernen – kein Wort.
    Hamburg ist Kult. Ich schwöre mir, bevor ich wieder abreise, eine ausgedehnte Stadtbesichtigung zu machen. James irrlichtert mit mir noch etwas durch diese individuelle Stadt; über steinerne Brücken, die von riesenhaften, nordisch anmutenden Frauenstatuen, der Germania und der Europa, flankiert werden. Martialisch anmutende Herrscher bewachen die Brücke am Dovenfleet. Der Fleet, der stinkend seine schmierigen Kreise durch die Gassen zieht, führt uns durch die wilhelminische Speicherstadt und ihre steinernen Spione, die Wasserspeier. Eine halb von Moos und Efeu überwucherte St. Nikolaikirche mitten im Zentrum erweckt den Eindruck eines vergessenen Ortes inmitten der Zivilisation.
    Wir gondeln noch ein wenig durch alle möglichen Gässchen und Unterführungen, dann schert er plötzlich in eine fast freie Parklücke ein. Wir eilen durch den Sprühregen in einen spärlich beleuchteten Hinterhof. Eine doppelflügelige Metalltür lässt sich mit einigem Kraftaufwand öffnen. Das ›Kir‹ ist eine kleine, verwinkelte Gothic-Bar, in der es von bildschönen Dunkelelfen mit allerlei Ringen an allerlei Körperstellen und extravagant knappen Outfits - Spitze, viel Netz, Bondage und Leder überall - nur so wimmelt. Weißäugige Nordmänner mit Nietenhalsbändern werden an langen Ketten von ihrer Begleitung geführt und zwielichtigen Androgyne mit Latexmasken, die im Dienstmädchenkleid aus Lack die devote Sitzbank für ihre hochgeschnürte Herrin geben. Ein Türsteher in phantastischem neonschwarzen Military bietet uns im Hineingehen einen grell leuchtenden Aperitif an. Ich nehme alle Eindrücke in mich auf, die entspannte Lässigkeit der Gäste beruhigt mich. Die Wiege der schwarzen Szene liegt genau hier, in Deutschlands schöner Kultstadt.
    Wir drücken eine zweite Eisentür auf, drehen im dröhnenden Sound von Godsmack´s ›Serenity‹ zuerst eine Runde und landen sogleich an einem Ende der langen Bar. Die reinigenden Klänge von Bass und harter Gitarre strömen durch mich hindurch und bringen mir meine Lebensgeister für diesen Abend zurück. James beugt sich zu einer Schönheit mit langem grellroten Haar, das sie zu einem hohen Pferdeschwanz gebunden hat, und bestellt zwei Drinks für uns.
    Sie lächelt mir so unverhofft zu, dass ich in der Eile keine Miene verziehen kann. Als sie sich abwendet, um einzuschenken, bietet sie mir ihre kahlrasierte linke Schädelseite dar. James bezahlt und sie schenkt mir noch ein freundliches Lächeln, wobei ihr der Stab zwischen ihren dunklen Augen nicht im Geringsten einen bösen Blick verleiht. Ich lächle schüchtern zurück. Die Atmosphäre ist entspannt und freundlich; durchwirkt von etwas, das ich bei den graugesichtigen Menschen dort draußen meist vermisse: Akzeptanz und Zusammengehörigkeit. Hier wird nicht gedrängelt und gestoßen. Die letzten Gentlemen verstecken sich hier. Schlägereien gehören ebenfalls zu seltensten Begebenheiten – manche munkeln aus dem Grund, sich nicht Frisur und Make-up zu ruinieren, geschweige denn, ein kleines Stück durch die Haut gezogenen Metalls einzubüßen. James erzählt mir von Gerüchten, die jenseits der Szene die Runde machen, und zwar, dass man auf „schwarzen Partys“ keinesfalls lachen darf! Wer es dennoch tut, wird ausgeschlossen. Wovon oder woraus weiß hingegen niemand so genau. Oder von wem.
    »Man trifft sich hier ja angeblich auch nur, um Babys zu essen«, meint James kühl. »Bevorzugt mit Honig-Senf -Sauce.«
    Ich ringe mir ein schwaches Lächeln ab. Solche Ansichten sind mir nicht neu. Erleichtert bemerke ich, dass ich hier keineswegs fehl am Platz bin in meiner schwarzen Anzughose, Hosenträgern und der Krawatte aus schwarzen und weißen Kästchen. Ich lehne mich an eine Mauer und nippe an meinem Drink, bis ich merke, dass Orangensaft für mich bestellt worden ist. Ich halte James anklagend mein Glas unter die Nase und er meint: »Normalerweise nimmt sie das Zeug nur für die Cocktails. Kannst dich glücklich schätzen, dass sie für dich ’ne Ausnahme gemacht hat. Ich glaube, sie findet dich nett.«
    Ich will ihm gerade sagen, was genau man unter der Bezeichnung ›nett‹ bei einem Mann versteht, leere aber stattdessen das Gesöff in einem Zug und hole mir ein Bier. Inzwischen wird auf der kleinen Tanzfläche geschmeidig zu einem Track von ›Instrict Confidence‹ getanzt. An dieser Stelle muss ich zugeben, dass mich solche Frauen sehr, nein - wie

Weitere Kostenlose Bücher