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Kaltgeschminkt (German Edition)

Kaltgeschminkt (German Edition)

Titel: Kaltgeschminkt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rona Walter
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gewesen. Ich zeige genervt auf den Eingang. Im Schlepptau des Hünen geht ein schmaler junger Mann mit blondem kurzen Haar. Auffällig an ihm sind seine Knubbelnase und große, runde Augen. Er wirkt unsicher, obwohl er sich alle Mühe gibt, souverän zu wirken. Wir haben seine Beschreibung und alles, was wir wissen mussten, aus dem Wunderbrunnen des Internet. Ohne James Recherche auf Google und dem Fingerzeig auf facebook hätten wir niemals herausgefunden, wer der vielversprechendste Streber an der Hamburger Universität dem ›UKE‹ ist. Er studiert forensische Psychiatrie, ist der bevorzugte Kandidat bei Forschungsstipendien und Dozentenstellen. Ein kleiner Held in allen Bereichen. Glücklicherweise hat er auf allerlei privaten Webseiten herum posaunt, wo er mit wem wann zu finden ist, um was zu tun. Und hier ist er, der kleine Spießer. Ein wenig spät, aber wir haben ja Zeit. Peer Yngve. 24 Jahre alt. Aufgewachsen in Klein-Moor. Bestatterausbildung mit ›Sehr Gut‹ absolviert. Gut situiert, keine Freundin aber verliebt, mag Tuck-kekse mit Sauerrahm und hat sich letzte Woche den großen Zeh in der Unterhose eingeklemmt, wobei er gegen einen Tisch gefallen ist, was ihm einen halben Zahn gekostet hat. Was die Leute nicht alles preisgeben vor der ganzen Welt! Aber wenn man sie nach ihrer Adresse für die Kundenkartei fragt, blaffen sie einen an von wegen Datenschutz und keine Werbung bekommen.
    Er wendet sich mir grinsend zu.
    »Natürlich schickt er ihnen trotzdem immer wieder den aktuellen ›Begräbnisboxen 2010 – individuelle Särge für Sie und Ihn‹ - Katalog zu. Die Dinger verursachen sonst nur Lager-stau.«
    Ich lächle nicht. Denn wir sind uns weder sicher, dass er mein Nachfolger sein soll, noch dass es sich bei jenem um einen Hamburger, geschweige denn einen Deutschen handelt. Trotz des Namens. Die können schließlich ebenso auch Resultat gesellschaftsgeschädigter Eltern sein, die zu viel Zeit auf RTL verbringen. Aber darum geht es auch nicht. Wir brauchen jemanden, an dem mir James zeigen kann, wie man über seine beruflichen Grenzen hinausgeht. Und dazu brauchen wir gezwungenermaßen einen Körper. Somit erfüllt James seinen letzten Auftrag, mich zu unterrichten und wir entledigen uns eines potentiellen Feindes. Danach, sagt er, hat er einen Plan. Ich habe auch einen. Da ich mir keine Illusionen mache, früher oder hoffentlich später lebend aus diesem Vertrag mit den Dreien entlassen zu werden, werde ich James nach seinem Unterricht wie verlangt töten. Natürlich so schnell wie möglich, so schmerzhaft wie nötig. Denn um diesen Teil des Vertrages komme ich nicht herum. Und er auch nicht. Weshalb ich ihm auch nur bedingt traue mit seinem Plan. Danach werde ich einen Weg suchen, aus dem Pakt zu entkommen. Und meine Grübeleien führen mich zu der einzigen Lösung: Gedächtnisverlust. Durch den stelle ich keine Gefahr mehr dar für die Drei, und sie haben nicht den geringsten Grund mich zu töten. Außer vielleicht aus Gehässigkeit und weil sie es können. Dafür habe ich Rachelle eingeplant, die mich aus meiner Blackbox holt und sich meiner annimmt, damit ich mich an sie erinnere. So bleibt sie Teil meines Lebens. Der Preis dafür ist, dass ich mein Leben, wie ich es bisher geführt habe, nicht weiterleben kann. Kein wirkliches Opfer. Obwohl mir manches vielleicht doch schmerzlich fehlen wird. Momentan fällt mir jedoch noch nichts ein.
    Doch zuerst beobachte ich meine erste Stufe auf dem Weg zur Freiheit. Taktisch sinnvoll erscheint es uns, jemanden auszuwählen, der eventuell einmal eine Gefahr darstellen könnte. Wieder einer weniger - ein späterer Gegner oder ein Leidensvetter. Gut so. James fischt in seinem Rucksack nach den Utensilien. Im Suff entgleitet er ihm jedoch immer wieder, so dass ich ihn schließlich nehme. Eigentlich ist es nicht sehr schlau, sich vor einem Mord mit Rauschmitteln wegzudröhnen. Aber was soll’s, mit dem Knirps werden wie allemal fertig. Tja, hätte er doch ab und an nur einmal ein ›Gut‹ geschrieben.
    Für Mitleid habe ich nie viel übrig. Ich finde, es ist die niederste und peinlichste Form der Gefühle für Andere. Niemand will insgeheim bemitleidet werden. Glauben Sie mir.
    Peer Yngve tritt von einem Bein auf das andere. Sein Begleiter, der blonde Hüne, betritt schlendernd das verspiegelte Eingangsportal, nimmt jedoch keinerlei Notiz davon, ob ihm sein kleines Anhängsel tatsächlich folgt. James und ich senken peinlich berührt den Blick, als er

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