Kaltgeschminkt (German Edition)
Komödie noch trauen, geschweige denn, etwas glauben?
Er sieht mir forschend ins Gesicht. »Du bist in der falschen Zeit geboren, McLiod. Hier gibt es keine Märchenprinzen mehr. Nur Ungeheuer in Menschengestalt.« Er hebt zwei kleine Gläser, reicht mir eines und bohrt seinen dunklen Blick in meinen. »Wir beide gegen alle anderen. Falsche Weiber und rachsüchtige Todesboten! Darauf einen Absinth!«, ruft er und leert den trüben Inhalt mit einem Schluck.
Das letzte bewusste Ereignis in dieser Nacht dringt zwar wie Watte durch meine defekte Psyche, jedoch bin ich mir sicher, dass ich es nicht überinterpretiert oder gar erfunden habe. Ich bin Schotte. Ich vertrage verdammt viel Alkohol. Aber: ich bin rotzevoll. Spätestens wenn ich solche Wörter benutze, stimmt es wirklich. In weiser Voraussicht mache ich meine Tür auf und pirsche mich an die Nachbartür. Erneut lege ich mein Ohr an die Tür meines eventuell fiktiven Zimmernachbarn. Zaghaft klopfe ich einmal an. Wie erwartet tut sich nichts. Da Aufgeben keiner meiner Charakterzüge ist, jedoch weniger aus Courage als mangelnder emotionaler Feinmotorik, klopfe ich noch einmal leise an. Dann noch einmal, etwas lauter diesmal. Bald steigert sich mein schwaches Aufrütteln zu einem rhythmischen Hämmern. Mittlerweile bearbeite ich mit gesenktem Kopf und geballter Faust das Holz, ganz im Sog dieser bald recht eintönigen Aufgabe. Noch bevor ich merke, wie mir geschieht, donnern beängstigend schnell wenige harte Schritte hinter der schützenden Wand auf mich zu und jemand drischt derart auf das Holz ein, dass diese mit dem gesamten Rahmen erzittert. Erschrocken mache ich einen Hechtsprung in den Flur, unfähig jedoch, meinen notorischen Gedanken an Flucht in die Tat umzusetzen. Wehmütig schiele ich auf meine offene Zimmertür, wünsche mir, weniger aufmerksamkeitsheischend gewesen zu sein. Doch alles was folgt, ist Stille. Jene Art der Stille, die einen in Horrorschmökern nervös auf dem Sofa hin und her wetzen lässt, weil der intelligenzneutrale Literaturstatist sich wieder einmal rückwärts in eine rabenschwarze Düsternis schiebt, um dem irren Mörder auf den letzten drei Seiten doch noch zu entkommen. Die Ruhe vor dem Sturm sozusagen. Sie wickelt sich um mich, wie ein nasses Tuch, und plötzlich wird mir bewusst, wie unzureichend meine Reaktionen gerade sind. Also verschwinde ich so schnell ich noch kann durch die rettende Tür. Dann angle ich den Stuhl heran, um mit ihm erneut meine Barrikade gegen alles zu errichten, betrachte verständnislos meine zitternden Finger, lege die Hände direkt auf das harte Hämmern meines Herzens. Seltsam, wie diese Symptome der Angst ident mit denen der erotischen Erregung sind. Erst langsam wird mir bewusst, dass ich nun allerdings den triftigen Beweis habe, dass ein Nachbar nebenan wirklich existiert. Ob es sich dabei jedoch um James handeln kann, ist mir ebenfalls in den Sinn gekommen. Doch warum sollte er sich in einem separaten Zimmer verschanzen? Und aus welchem Grund würde James so ein Spektakel veranstalten? Nein. Es muss einfach einen Hausgast geben! Weshalb seine Anwesenheit allerdings vor mir geheim gehalten wird, will ich mir erst morgen überlegen. Ein wenig denke ich über die Ausrede meines Gastgebers nach, als ich ihn mit den leergegessenen Tellern überrascht habe. Seine Abwehr erscheint mir immer fadenscheiniger und verdächtiger, je länger ich darüber grüble. Schnell sehe ich auf die Uhr. Es ist zu spät, jetzt noch irgendjemanden zur Rede zu stellen. Und vor allem sollte es mich nichts angehen, wer außer mir noch die Gastfreundschaft von Beastly und Hammerstein genießt. Vor Erleichterung, keinen Zweikampf brechen zu müssen, kauere ich mich in einer Ecke zusammen. Ehe die Entspannung meine Muskeln erreichen kann, bewegt sich nebenan knirschend ein Scharnier. Das einer Tür. Sehr nahe an meiner. Nebenan. Schritte halten an der Wand entlang auf mein Zimmer zu. Langsam krieche ich hinüber, luge zwischen den Streben der Stuhllehne durch das Schlüsselloch. Ich sehe nur schwarz, dann bewegt sich etwas dahinter und ein graues Feld wird sichtbar, vermutlich ein T-Shirt. Denn vor meinen Augen erscheinen die knittrigen Worte
Seek and Destroy!
Ein Schlachtruf, der mir beängstigend treffend erscheint. Damit wäre das Geheimnis um einen eventuellen zweiten Hausgast ohne jeden Zweifel geklärt. Und es handelt sich leider nicht um die bettlägerige Mutter in Gummiwindel, die mir zweifellos lieber gewesen
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