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Kaltgeschminkt (German Edition)

Kaltgeschminkt (German Edition)

Titel: Kaltgeschminkt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rona Walter
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geht ganz schnell«, flüstert er mir zu.
    Yngve hat sich inzwischen aus der Mesmerisierung befreit und schaut bittend zu James auf.
    »Was wollt ihr? Habt ihr vor mich high zu machen? Bin ich schon, Leute, keine Chance –«
    »Und wie!«, fällt ihm James ins Wort und drischt auf seine Schulter ein.
    Yngve schielt unsicher zu mir herüber. Ich zucke die Schultern.
    »Normalerweise teile ich die Ansichten meines Begleiters nicht, aber in diesem Fall …«
    Sein Mund klappt auf und zu als er ein »Gib!« krächzt.
    Wortlos aber mit deutlicher Abscheu in den Augen hält James ihm das dünne Gefäß hin. Tief in mir regt sich das Gefühl, dass dieser kleine Mann hier jeden Weg nehmen würde, den man ihm zeigt, um aus der Realität in der er lebt, zu entfliehen. Dennoch verspüre ich keine Trauer in mir. Irgendetwas ist da wohl bereits gestorben. Und das Schlimmste - es ängstigt mich nicht einmal! Die einzige Flamme in mir lodert nur für eines, für Rachelle. Und eine noch kleinere hofft, dass ich nicht in Arcaeons Chaoswelt muss. Die Angst.
    »Mit den Lippen komplett umschließen und auf die Kappe am Ende drücken«, erklärt James.
    »Häh?« Der Schlaumeier guckt verdutzt.
    »Als würdest du an ’nem Kugelschreiber saugen, Mann.«
    Als unser neuer Freund jedoch schielend angestrengt an dem einen Ende nuckelt, drückt James genervt auf den runden Knopf. Es zischt scharf und für einen kurzen Moment reißt Peer Yngve die Augen auf, hält jedoch zu unser beider Überraschung weiterhin den Kolben fest umschlossen, so dass keiner von uns gewalttätig nachhelfen muss. Nach wenigen Sekunden kippt er mit einem leisen Röcheln hintenüber an die mit Filzstift beschmierte Wand. Ein letzter Atemzug und er gibt keinen Laut mehr von sich, nicht einmal ein letztes Seufzen. Rasch zieht James das Metallröhrchen aus seinen bereits steif werdenden Fingern.
    »Es geht doch nichts über einen schnellen Trip auf Nitrogenium, was Alter?«
    Er klopft Yngve erneut hart auf die Schulter, so dass ich befürchte, der Arm könnte ihm glatt abfallen. James bemerkt das entsetzte Aufglimmen in meinen Augen.
    »So schnell geht das nicht, Harris. Die Vereisung jagt gerade durch seinen Körper, Herz und einige Organe dürften bereits lahmgelegt sein. Bis es sein Gehirn erreicht, wird es wohl noch etwas Zeit brauchen. Wäre aber nicht unklug, ihn gleich hinaus zu schaffen, ehe die Glieder zu steif werden und er noch mehr Herman von den Munsters ähnelt.« Er lacht laut und hebt den untersetzten Jungen an. »Was soll ich sagen? Man darf einfach keine Dinge annehmen, die Fremde einem kostenlos anbieten. Auch nicht, nachdem man die vierte Klasse hinter sich hat.«
    Die Kälte in seinen Augen und der abfällige Unterton in seiner Stimme strafen seinen zynischen Scherz Lügen. Er hat eine Wahnsinnsangst. Ich hadere mit mir selbst. Sicher ist es bereits viel zu spät, sich noch zur Reue zu zwingen. Leider habe ich mich überhaupt nicht informiert, was flüssiger Stickstoff im Körper eines untergroßen Mannes anrichtet, wenn man es in natura und rasch verabreicht. Dennoch bin ich lernfähig und fühle mich wieder in den Biologieunterricht zurückversetzt. Diesmal platzt die Kröte hoffentlich nicht. Was für eine Sauerei. Also packe ich die andere, erstaunlicherweise weiche Schulter und hieve den Körper, zu dem der Student nun lediglich geworden ist, auf meinen Arm. Zufällig fällt mein Blick auf die beschriftete Toilettenwand und ich erkenne, dass da nicht nur Obszönitäten stehen. Etwas abseits lese ich eine Anlehnung an eines der zynischen aber treffenden Zitate von Oscar Wilde: »Was soll ich im Himmel? Dort kenn ich doch niemanden.«
    Ich nicke entschlossen.
    »Richtig«, sage ich zu mir selbst. »Völlig richtig.«
    James sieht mich mit gespielter Verwunderung an. »Soll ich dich noch ein wenig allein lassen, damit du mit deinen seltsamen Persönlichkeiten plaudern kannst? Mein Kumpel hier und ich sind dann schon mal im Wagen.«
    Mir ist nicht nach Scherzen zumute, daher hake ich die Leiche entschieden unter und stoße die Tür mit einem derben Fußtritt auf. Wir schleifen das tote Gewicht, das sekündlich immer schwerer zu werden scheint, an den Waschbecken vorbei. Gerade als wir eine offen stehende Tür passieren, lässt James den Körper los, trottet darauf zu und zieht durch den Rachen hinauf. Genüsslich lässt er einen besonders ekelhaften Schleimfaden auf dem Kopf eines der dort sitzenden Yuppies herab, was jedoch kaum zur Kenntnis

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