Kaltgeschminkt (German Edition)
der Augäpfel verhindern sollten, ist in Hauers ›Hausbuch für den Bestatter von Welt‹ selbige Methode beschrieben, die ich auch bei Miller gelernt habe: das deutlich unschönere Fixieren der Lider durch Hautkleber.
»Dazu muss ich dir sicher nichts erklären«, sagt James. »Aber deine Idee mit der Garstinschen Einbalsamierung ist gut. In den Tagen, als der alte Miller mir das beibringen wollte, war ich wohl dicht.«
Er lacht, doch irgendwie wirkt es seit einigen Tagen unecht und gezwungen. Mir fällt ein, welche Wendung sein Leben – oder besser Ableben – nach meiner Unterrichtung nehmen wird. Auch James scheint nervös zu sein und traut wohl seinem eigenen irrsinnigen Schlachtplan, Die Drei zu überlisten, ebenso wenig wie meiner Loyalität ihm gegenüber. Er deutet vage auf das in bunten Bildchen dargestellte Mischverhältnis von Glyzerin, Arsen und Phenol. »Ich bevorzuge, wie Hauer, die Stirlingsche Zusammensetzung. Solides Kreosot, Holzgeist und Sublimat. Einfach und schnell herzustellen. Und das Mischverhältnis muss nicht zu stimmig sein.«
Mir dreht sich der Magen um, wenn ich das Bild in meinem Kopf betrachte, auf dem James mit wahnsinnigem Blitzen in den Augen die drei Komponenten ohne Messbecher in einem Reagenz umherschwenkt und dabei eine teilweise zerrissene Zwangsjacke trägt.
Ich schüttle den Kopf, um die Vorstellung loszuwerden. Leider wirkt sie nur allzu realistisch. Allerdings erfahre ich am eigenen Leib, wie sehr man um seinem eigenen Verstand fürchtet, wenn sich einem Dinge wie jene in den letzten Tagen offenbaren. Wie würden Sie reagieren, wenn Sie mit einer Blutfee geschlafen hätten, nachts von einem wütenden Gespenst heimgesucht werden würden, das, erstaunlich materialisiert, Ihre Tür einzuhämmern versucht, und mit einem zum Wahnsinn neigenden Kollegen ein Dach und skurrile und moralisch absolut fragwürdige Tätigkeiten teilen müssten, dessen geistige Unversehrtheit sich rasant und stetig verabschiedet? Richtig, ihre gesunde Psyche stünde auf verdammt dünnem Eis.
»Hier wird noch aufgelistet, welche Vorgehensweise man bei der Auswahl der Ustrina, des Friedhofes oder der verschiedenen Grabgestaltungen beachten muss. Außerdem fehlt hier ein Eintrag zur Friedwaldbestattung, die heutzutage beliebter wird. Aber das wird uns ja zum Glück abgenommen«, grinst er. »Dann kommen wir zu dem Teil, den dir unser alter Freund und Unterdrücker Miller nicht mehr beigebracht hat. Das Elixier.«
Seine schmalen Finger gleiten über zusammengeheftete Seiten, die er mit einer raschen Fingerbewegung löst. »Die Zusammenstellung des Aeonum .«
Mein Blick wandert über die seltsame Auflistung von Zusammensetzungen. Einiges ist seit dem viktorianischen Zeitalter nicht mehr hergestellt worden, manches ist so selten, dass man es in einem Labor eigens herstellen müsste. Am Sonderbarsten jedoch sind pflanzliche Basen wie Zea Mays , geeignet zum verstümmeln, Eupatorium rugosum , zum langsamen Quälen, oder Teeessenzen aus den Wurzeln der Butterblume, welche mich an die Kräuter sammelnden Hexenweiber im Mittelalter erinnern. Woher zum Teufel sollte man das alles bekommen? Ich stelle James diese Frage und er gibt mir die Antwort, auf die ich längst hätte kommen sollen.
Ausladend deutet er auf die Hängeschränkchen unter der Decke. »Na, du stellst sie her! Steht doch alles hier drin. Aber keine Sorge, Victorian Girl, ich habe einen Vorrat von Miller bekommen, der für die nächsten Jahre reichen sollte.«
Ich beuge mich über die Auflistung. »Lieblichen Portwein und Theriak?«, wundere ich mich. Ein Gedanke geistert durch meinen Kopf, den ich vergeblich versuche zu fassen.
»Für´s Aroma. Und du magst doch Opium, oder?«, grient er schelmisch. Dann plötzlich werden meine Gedanken magisch von dem Fläschchen angezogen, die ich in Millers Safe entdeckt habe, während ich seine sterblichen Überreste in ihrem Sekret liegen gelassen habe.
»Apropos«, meint James und zaubert ein Fläschchen unter der Bahre hervor. »Ich bin fast schon wieder nüchtern. Wie wär´s mit einem Schlückchen Malt? Auf die Heimat.«
Wir leeren wider besseren Wissens die halbe Flasche, aber ich kann dem feinen Schlückchen einfach nicht entsagen. Schon gar nicht einem guten alten Single Malt. Genüsslich rolle ich die Tropfen auf meiner Zunge und lasse sie samtig meinen Hals hinuntergleiten. In Momenten wie diesen erkenne ich das Lebenswerte an meinem Dasein und bin froh, die Kunst des Selbstmordes nicht
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