Kaltgeschminkt (German Edition)
genommen wird. Einen Moment hege ich Fluchtgedanken. Mein Freund kehrt bereits zu mir zurück.
»Irgendwann, Beastly, wirst du von Irgendjemanden ordentlich auf die Fresse kriegen«, meine ich, als wir Yngve´s sterbliche Überreste durch den Club tragen. Lediglich mitleidige Blicke auf einen scheinbar sturzbetrunkenen Peer geleiten uns hinaus.
»Die haben gekifft. Das kann ich nicht ab«, erklärt er mir knapp.
Kurze Zeit später liegt Peer Yngve aus Klein-Moor vor uns auf dem Fixiertisch. Tausend Augenpaare betrachten aus allen Blickwinkeln seinen nackten, erstaunlich schnell bläulich angelaufenen Körper. Resigniert nehme ich wahr, dass sein Bauch wider erwarten ein wenig flacher ist als der meine, was mich wieder einmal widerwärtig verstimmt. Während ich vor mich hinbrüte, spielt James Soldat mit der Leiche von Peer. Der blaue Körper salutiert und zuckt wie eine Marionette. Mit einer Hand klappt er den erschlafften Mund auf und zu, wobei das erkaltete Gewebe leise knirschende Geräusche von sich gibt.
»Hallo«, plappert der Tote mir James´ Stimme. »Massier mir die Eier, McLiod. Ach vergiss, ich mach´s selbst.« Er reibt mit der toten Hand genüsslich über Yngves Gemächt, wobei er schmatzende Geräusche macht. »Hmm, super.«
Obwohl ich angewidert bin von seiner geschmacklosen Spielerei, muss ich doch lachen. Wir Bestatter sind eben ziemlich kranke Schweine. Achtlos lässt er den Arm fallen und holt ein dickes Buch aus einem der Hängeschränke. Beinahe erwarte ich Spinnweben und ein Ächzen, mit dem der Buchdeckel aufklappt, um uns sein schauerliches Geheimnis preiszugeben. Doch es ploppt lediglich müde, als James Yngves Stirn als Buchstütze missbraucht.
»Soso … hmhm …«, macht er theatralisch, beugt sich übertrieben fachmännisch über diese schwere Fachlektüre, reibt sich mit dem Mittelfinger über die Lippen. Urplötzlich schlägt er so hart auf die Seiten, dass unser kleiner Peer todsicher mit dem genauen Abdruck des Buchrückens auf der Stirn ins Pandämonium hinübergleiten wird. »Gut. Fangen wir an. Stell dich bitte nicht allzu blöd an.«
Er zerrt mich am Ärmel neben sich und wir stieren beide eine Zeitlang auf die beinahe schon pervers bleichen Seiten. Hier wird schrittweise sozusagen ›Fixieren für Dummies‹ beschrieben, angefangen vom Entkleiden des Körpers, der hier allerdings stets als Corpus beschrieben wird, was mich nach wenigen Augenblicken anfängt zu nerven. Ich sehe kurz auf meine Uhr, es ist erst halb zwei Uhr morgens. Der forensische Professor Hauer von einer Universität in Trier erklärt mithilfe von netten Bildchen, wie man den Corpus auf der Liege drapiert, wie man die hygienische Totenversorgung, selbst das idiotensichere Hochlegen des Kopfes, das Entfernen von Kathetern, Herzschrittmachern und ähnlichen Spielereien, die anschließende Sprühdesinfektion des Körpers und seiner diversen Öffnungen, bis hin zur Waschung mit kaltem Wasser und grober Seife. Sogar die Beschreibung der Körperbalken und verschiedenen Arten der gelochten Metallkassetten für die Waschung hat er für notwendig gehalten. Akribisch werden hier Rasur, Pediküre und Haarwaschung beschrieben, dass ich nicht umhinkomme, mich zu fragen, ob Professor Hauer seinen Titel nicht doch bei einem Barbier gewonnen hat.
Die Einbalsamierung, die eigentlich lediglich nötig ist, wenn man eine Leiche ins Ausland überführen muss, beziehungsweise man sie über einen verhältnismäßig längeren Zeitraum aufbahren muss, ist hier ein fester Bestandteil seiner Thanatopraxie. Ebenso, wie ich es auch bei Mr. Miller gelernt habe. Auch das doch etwas kompliziertere Lösen der Leichenstarre, der Rigor Mortis , das mittels Feuchtigkeitsregulator und Massagetechniken vorgenommen werden muss, um der nachträglichen Dehydratation der Haut vorzubeugen. Mit der Verschließung der Körperöffnungen mithilfe von Wattebäuschen hält sich Professor Friseuse seltsamerweise nur kurz auf, erwähnt es lediglich am Rande und auch nur als empfehlenswert und nicht als notwendig. Als Schüler dieser dunklen Zusammenarbeit mit dem Tod lernt man, wie der Mund mithilfe einer sogenannten Ligatur geschlossen bleibt. Dies bewerkstelligt man mittels eines Fadens, am besten aus Baumwolle oder Leinen und einer speziellen Chirurgennadel, womit man den Unterkiefer von innen mit der Nasenscheidewand verbindet. Anstatt der genoppten Kontaktlinse, die das unkontrollierte Öffnen der Augen durch Feuchtigkeitsverlust und das Einsinken
Weitere Kostenlose Bücher