Kaltgeschminkt (German Edition)
sicher, dass ich mich in einer passiven Opferrolle befinde, in der Kooperation nicht der schlechteste Weg wäre. Angestrengt hebe ich den Kopf noch ein wenig. Er steht über mir, die Beine gespreizt. Nur ein Schatten, ein leerer Fleck anstatt eines Gesichts, mit einem Brief in der Hand, dessen Papier noch schwärzer ist als er - undurchdringlich. Hinter ihm erkenne ich schwach die Silhouette von James´ BMW. Der Schattenmann beugt sich zu mir hinab, hält mir den Brief ins Gesicht. Als ich nicht reagiere, werden seine Bewegungen bestimmter und er stößt mit dem Papier in meine Richtung.
Ich schüttle mechanisch den Kopf. »Verschwinde«, krächze ich kraftlos.
Urplötzlich geschehen zwei Dinge gleichzeitig, von denen mir eines allein schon die Knie würde weich werden lassen, wäre das noch möglich. Die Gestalt verändert sich so schnell, dass ich mir unsicher bin, ob ich auf diesem deutschen Boden nicht doch zum Phantasieren neige. Wie der Kragen einer großen Echse stellt sich um seinen kleinen Kopf eine große Kapuze auf, die krumme und sehr spitze Zacken säumen. Dazwischen … nichts. Reine Leere. Seine dürren Arme lösen sich auf, bis sie wie ein zerschlissener Umhang an ihm herabhängen, und er richtet sich plötzlich noch ein ganzes Stück weiter auf, als sich sein Leib in ein gigantisches schlangenartiges Ding verwandelt. Das scharfe Zischen, das er ausstößt, geht mir durch Mark und Bein. Gerade noch kauere ich mich zusammen, ziehe den Kopf ein und verharre als ein unentwirrbares Knäuel. Dann ritzt etwas Scharfes meine Wange. Mit letzter Kraft hebe ich einen Arm und knalle ihm schwungvoll die Tür vor der Nase zu, oder eher dort, wo ich sie in dem ganzen Dunkel vermute. Hektisch taste ich nach dem Schnitt in meinem Gesicht. Es klebt kein Blut an meinem Finger, doch vor mir liegt der schwarze Brief und seine silberne Schrift hat mir nur eines mitzuteilen:
Eliminieren Sie Beastly, bevor er Ihnen
mit ähnlichem Vorhaben zuvorkommt.
Halten Sie uns nicht noch einmal zum Narren.
Wir stellen Ihnen Ihren Ungehorsam in Rechnung.
Grüße.
Obwohl ich erneut gewarnt bin, frage ich mich, wer den Schwachsinn wohl druckt, bevor er von dem entfernten Cousin der Adamsfamily zugestellt wird. Dennoch, die Angst hat sich in mir festgesetzt wie eine Zecke. Unterschätzen darf ich sie diesmal keinesfalls mehr. Ich muss nicht beschließen, wie ich handeln werde. Denn dass James sterben muss, ist mir längst klar. Meine letzten Kraftreserven setzte ich ein, um mich auf die Beine zu stemmen und mich in meinem Zimmer zu verbarrikadieren, bevor derjenige, der durch das Läuten an der Tür verscheucht worden ist, zurückkommt. In meinem Zustand möchte ich jetzt auf keinen Fall auf ihn treffen. Ohne jede Chance wäre ich ihm ausgeliefert, noch ehe er mich mit einem sanften Atemhauch aus den Schuhen heben könnte.
Mehrere Stunden Schlaf hinter verrammelter Tür geben mir wenigstens einen Teil meiner Kräfte wieder. Hinter dem nebligen Vorhang meines Bewusstseins habe ich plötzlich den verrückten Gedanken an C.G. Jung, der einst meinte, Schatten verkörperten das gesamte Unbewusste, das wir lieber nicht wären, aber dennoch müssen, um ganz zu sein. Der Schatten allein entspricht lediglich unserer unausgereiften, dunklen Seite.
Ich öffne meine geschwollenen Augen mühevoll, als etwas an meiner Tür kratzt. Inzwischen bin ich genervt von den ständigen Attacken von der anderen Seite, erhebe mich aber alarmiert und greife der Vorsicht halber nach der Nachttischlampe. Das Schaben wandert hinab, ein tastender Fingerschatten wird unter dem Türspalt sichtbar. Kurz darauf flattert ein kleiner Zettel darunter hindurch. Im Halbdunkel taste ich durch das Zimmer, entfalte mit steifen Fingern das Papier. Darauf erklärt man mir knapp, dass ich unverzüglich nach meinem Erwachen im Wohnsalon zu erscheinen habe. Das bockige Kind in mir beschließt, noch ein wenig auszuruhen, daher lege ich mich zurück in die weichen Kissen, wo ich mich auch prompt von leichtem Schlaf besiegen lasse. Ich bin einfach noch nicht so weit, mich mit einem Mord ohne jegliche Planung zu beschäftigen. Also tanke ich meine Kräfte noch ein wenig auf – das wird auch reichen.
Menschlichen Reflexionen ähnlicher als meinen realen Bekannten, treffe ich James Beastly und das Objekt meiner erotischen Fantasien, Rachelle Hammerstein, im Salon an. Die Luft ist geladen von der Abneigung der beiden Personen, die sich im abendlichen Zwielicht schweigend
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