Kaltgeschminkt (German Edition)
Und beeil dich ein bisschen«, haucht sie mir auf den Mund und ich bleibe allein mit ihrem süßen Aroma in dem dunklen Raum zurück. Ein Schauer rinnt meine Wirbelsäule entlang. Ich sinke zurück in die Polster. Wirre Gedanken rasen durch mein Hirn. Ich frage mich, was James vorhat. Wie er seinem Schicksal entgehen will. Denn dass er nicht resignieren wird, kann ich mir denken.
Die Einsamkeit war bis jetzt immer mein zuverlässigster Verbündeter. Weder enttäuscht sie einen, noch erzählt sie einem Lügen. In ihr kann ich in Ruhe darüber nachdenken, was ich tun und wem ich wie sehr vertrauen soll. Vielleicht erwartet mich niemand in Rachelles Wohnung? Lässt mich James wirklich gehen? Warum kann er nicht tun, was er um seines eigenen Lebens Willen tun müsste? Man ist sich ihrer unweigerlichen Anwesenheit stets bewusst. In guten und besonders in schlechten Tagen. Aber das ist in Ordnung.
Ich sitze lange Zeit in der dunklen Einöde meiner Seele, ehe ich, wie aus einer anderen Zeit, eine Stimme höre. Sie ruft mich. Sie ruft meinen Vornamen. Sie ist tief und wenig sexy. Um sie besser orten zu können, schließe ich die Augen für einen Moment. Müdigkeit lähmt mich und ich nehme meine ganze Kraft zusammen, um nicht einzuschlafen. Angesichts dessen, dass mich eine Türglocke kein zweites Mal vor einem flüchtigen Unbekannten bewahren wird, setzte ich mich auf und trete auf den Flur hinaus. Die Stimme singt inzwischen Reime auf meinen Vornamen, wie bei einem obszönen Kinderlied. Ich schnaube abfällig durch die Nase, mit solchen Spielereien kann man mich einfach nicht reizen. Dennoch habe ich das Bedürfnis, diesem geheimnisvollen Brachialrabauken einen Tritt in den Arsch zu verpassen.
Vor der schmalen Tür zur Bibliothek bleibe ich stehen. Hier ist das Gegröle am lautesten. Gedanklich mache ich mir einen Plan des Raumes, der so winzig ist, dass ich wohl kaum großartigen Platz zum Verstecken haben werde. Er allerdings auch nicht. Zaghaft lege ich mein Ohr an das Holz. Die Stimme klingt von links. Ich bewaffne mich mit einem Schürhaken aus dem Salon und drehe den Knauf. Glücklicherweise gehören knarzende Türangeln nur in alte Horrorfilme – und in mein Manor. Schwungvoll platze ich in den Raum. Und da steht er. Im Widerschein der Abendröte. Ich erkenne lediglich einen massigen Kopf, geschoren und buschige Brauen. Sein Körper ist, ebenso wie meiner, breitschultrig und eher grobschlächtig. Leider auch muskulöser. Dafür hab ich ihm an Körpergröße etwas voraus – bestimmt drei bis vier Zentimeter. Ohne Vorwarnung stürmt er auf mich zu. Jedoch fällt dank des kurzen Anlaufs sein Bodycheck eher dumpf aus. Auch er hat es inzwischen begriffen, dass er in diesem Kämmerchen kaum Bewegungsmöglichkeiten hat und setzt mit ein paar harten Faustschlägen nach. Ich weiche ihnen so gut ich kann aus, bekomme aber dennoch einen stattlichen Teil seiner Hiebe ab. Mein Oberkörper schmerzt und ich finde eine Möglichkeit zum Gegenangriff überzugehen. Blitzschnell schlage ich auf seine Nieren ein. Er klappt kurz zusammen, versetzt mir jedoch einen kurzen Schubs, der mich an die Wand taumeln lässt. Ich stütze mich mit dem Rücken ab und trete mit voller Wucht gegen seinen Solarplexus. Keuchend geht er zu Boden. Noch ehe ich nachdenken kann, springe ich über ihn hinweg und flüchte intelligenter Weise zwischen die Bücherregale. Gegenüber wird die weit offen stehende Tür, meine einzige Fluchtmöglichkeit, von seinem Schatten verdeckt. Noch ehe ich mich frage, warum er ohne Waffe angreift, zückt er ein skalpellartiges Messer. Im Abendlicht grienen mir große, schiefe Zähne (die meisten in doppelten Reihen) entgegen, und so kleine Augen, dass ich sie kaum erkennen kann. Sein Mund steht weit offen, so dass an einem Mundwinkel ein kleiner Speichelfaden auf das speckige Shirt tropft. Angewidert verziehe ich das Gesicht und bin versucht, ihm ein Taschentuch zu reichen. Mit einem Satz springt mir der massige Körper mit der Aufschrift ›seek and distroy‹ auf seiner Brust entgegen. Panisch zwänge ich mich zwischen zwei engstehenden Regalen hindurch. Papierene Vertreter der überspannten Philosophien von Steiner und Tesla schwirren an mir vorbei, verschwinden in den zahlreichen Versenkungen der literarischen Welt. Ich habe den Plan, dass ich keinen habe, gar keinen. Nur den Abstand zwischen uns halten, bis ich wieder in Reichweite der Tür bin. Erneut verfluche ich meine mangelnde Aufmerksamkeit an der Einrichtung
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