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Kaltgeschminkt (German Edition)

Kaltgeschminkt (German Edition)

Titel: Kaltgeschminkt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rona Walter
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reicht mir noch ein Gläschen Malt, das wir hastig hinunterkippen. James lässt kindisch ein hohles Frankensteinlachen aus seiner Brust erklingen und erklärt mit dem Akzent eines kauzigen Balkanreiseleiters: »Hierrrmit fügen wir dem leblosään Körrrperrr subkutan eine Ladung des Aeonum zu. Somit ist ärrr berrreit fürrr seinä einmaligä Rrreisä in ein sährrr bewusstes Jenseits-zz. Legen Sie die Sicherrrheitsgurrrtä an, wirrr brrrechän in Kürrrze auf. Viiieeelen Dankchc.«
    Er schiebt das Gerät unter den linken Schläfenlappen der Leiche, wobei er mir wie einer dieser mit fragwürdig mystischen Behandlungsmethoden werkelnden Doktoren Ende des neunzehnten Jahrhunderts erscheint, die durch praktizierten Irrsinn den Wahnsinn auszumerzen versuchten. Langsam senkt er den Kolben und unter der Haut bewegt sich die lockere Hautschicht wellenartig. Souverän setzt er die Spritze erneut an, diesmal am Herzen. Zuletzt lässt er das letzte Drittel mit ernster Miene im Oberschenkel versickern. Ein Asylum, genau das ist es, was wir momentan hier betreiben. Und es hat nicht das Geringste mit Zuflucht zu tun, glauben Sie mir. Von oben höre ich plötzlich heftiges Krachen, als würde jemand schweres Möbel zerschlagen. Ich werfe einen schnellen Blick zur Decke.
    »Was ist?«, fragt James.
    Entgeistert sehe ich ihn an. Er kann es unmöglich überhört haben - es war schlicht nicht zu überhören. Beklemmung breitet sich in meiner Brust aus. Lange habe ich gezweifelt, ob sich wirklich jemand außer James mit mir das Obergeschoß teilt. Meine malträtierte Tür vergangene Nacht hat dann jedoch jeglichen Zweifel daran beseitigt. Obwohl ich ja irgendwie gehofft hatte, dass es sich auch dabei um James selbst gehandelt haben könnte. Der steht jedoch vor mir, was belegt, dass sich ein ziemlich realer Hausgast in den oberen Räumen aufhält. Und er hat einen Hang zur Zerstörung von Mobiliar.
    James beugt sich zu mir, was mich wundert, da wir beide ungefähr gleich groß sind. Ich reiße mit Gewalt die Augen auf und bemerke, dass ich mich so stark über den Oberkörper des Toten krümme, dass meine Stirn beinah das kalte Gewebe berührt. Irgendwie bekommt mir der Whiskey nicht, James hingegen scheint er nichts auszumachen. Ich bekomme zwischen einigen Übelkeitsanfällen und Bauchkrämpfen mit, wie er mich stützt, mir seltsam brummelnde Fragen stellt. Da sich seine Stimme eher wie ein sprudelndes Gewässer anhört, erkenne ich jedoch den Sinn dahinter nicht. Dann wird mir übel und ich würge heftig. Der Raum kippt und ich spüre ein kaltes Lüftchen an meiner Wange. Unechte, spiegelverkehrte Kopien von mir wanken wie kaputte Puppen und endlich verliere ich das Bewusstsein.
    Es ist Tag, da bin ich mir sicher. Ich ertaste rauen Mohair unter meinen Fingern. Fahre mit den Fingerspitzen die in den Stoff geprägten Ornamente neben meinem Gesicht nach. Jemand wispert mir etwas ins Ohr, das ich nicht verstehe. Irgendwo ertönt ein schrilles Geräusch, sehr unangenehm. Man versucht grob mich aufzurichten, rüttelt an meinen Schultern und kratzt mein Gesicht über den Stoff, weil ich im Augenblick die Konsistenz eines nassen Sackes habe, verschwindet dann jedoch mit einem lauten Knallen der Zimmertür. Ich dämmere vor mich hin, versuche das Ziehen in meinem Magen zu ignorieren. Erneut senkt sich diese dichte Stille über mich, als stünde ein Publikum um mich herum das versucht, unbemerkt zu bleiben. Dann schrillt es erneut, laut und herzlos. Langsam wird mir bewusst, dass es die Türglocke sein muss. Ich erhebe mich ächzend mit steifen Gliedern. Benommen wanke ich auf den Flur hinaus. Auf den Stufen neben mir rumpeln mit einem Mal so laute Schritte, dass ich vor Schreck auf die Knie gehe und einen Moment brauche, um zu registrieren, dass sie sich nach oben entfernen. Im Dämmerlicht des dunklen Foyers erkenne ich weder Schuhe noch ihre Träger. Mühsam krieche ich Richtung Eingang, drehe den Knauf und öffne die Haustür. Draußen steht eine wahnwitzig dürre Gestalt die ich jedoch bereits kenne. Es ist länger her, doch wir sind uns bereits einmal begegnet. Und ein andermal hat er mir einen Brief zukommen lassen, fällt mir mit einem Mal wieder ein. Mit einer Bitte, oder eher: einem ausdrücklichen Wunsch, den ich bewusst ignoriert und somit seine Forderung erneut ausgeschlagen habe. Vielleicht habe ich mir damit sogar einen Feind gemacht, aber in diesem Moment, in dem ich geschwächt auf allen Vieren herumkrieche, ist es ohnehin

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