Kaltgeschminkt (German Edition)
der Bibliothek, als ich mich im Halbdunkel zwischen den beiden deckenhohen Bücherborden hindurchpresse. Sie stehen eng zusammen, ideal für eine androgyne Statur. Glücklicherweise finde ich schnell heraus, dass ich mich am schnellsten im Krebsgang bewegen kann. Hinter mir ist es still, solange bis ich gegen ein volles Regal renne. Es bildet das Ende – das des Ganges, und, wie ich befürchte, auch meines. Denn es gibt keinen Ausweg. Der schmale Büchergang endet hier.
Urplötzlich bricht hinter mir ein Getöse los. Ein ohrenbetäubender Lärm dröhnt durch die kleine Kammer, als jemand in blinder Verwüstungswut alles hinter mir kurz und klein schlägt. Unpassender Weise denke ich an die Faksimileausgaben im ersten Regal, Kleist und Lewis, Übersetzungen von Schlegel. Hektisch versuche ich mich umzudrehen. Schnell erkenne ich, dass das nicht möglich ist. Ungläubig blinzle ich an mir hinab, meine Schultern haben sich tatsächlich in den Regalen verkeilt. Das raue Lachen des Psychopaten hinter mir lässt meine Muskeln zu Eis erstarren. Nichts geht mehr! Ich stecke fest, unweigerlich und unabdingbar. Die Regalbögen quetschen meine Oberarme und Schultern. Panisch rüttle ich meinen Körper, schwenke die Arme, doch es hilft alles nichts. Nur mit Gewalt zwinge ich mich zur Ruhe. Abgesehen meiner eigenen Körperausmaße habe ich auch den offensichtlich vorhandenen Intellekt des Psychopaten unterschätzt. Schwer atmend hänge ich zwischen all den wundervollen Büchern. In diesem Moment verfluche ich meine kürzliche Boykottierung des Edinburgh Sportcenters. Und Rachelle, die auf meine kräftige Statur steht.
Hinter mir lacht der Irre heiser und ich meine die höfliche Bezeichnung »Fettsack« zu hören. Schwermütig wird mir klar, dass ich nur eine Möglichkeit habe. Nämlich die nach hinten. Rückwärts hinausschieben, notgedrungen der Gefahr entgegen, die in meinem Rücken steht. Der Lärm hat aufgehört, jemand summt leise ein Liedchen. Ein scharfes Krachen signalisiert mir, dass ein weiteres Vermächtnis eines alten Stürmer und Drängers das Zeitliche segnet. Aus purer Zerstörungswut, wie ich jetzt weiß, da er scheinbar doch kein Analphabet ist. Ich schließe die Augen, schiebe mich Zentimeter für Zentimeter rückwärts aus dem Durchgang. Jeden Moment erwarte ich einen Schnitt oder Stich mit dem seltsam scharfzackigen Skalpell.
Prompt explodieren Blitze vor meinen Augen, als die Klinge über meinen unteren Rücken zischt. Ich schreie auf und durch den Schmerz mache ich einen scharfen Ruck nach rechts. Meine Schultern sind frei. Wutschnaubend starre ich in das überraschte Gesicht des Literaturhassers hinter mir. In diesem Moment der Überraschung schlage ich ihm brutal ins Gesicht und entwende ihm die Waffe. Leider weniger geschickt als ich gehofft habe, denn sie schneidet mir leicht in die Handfläche. Seine kleinen Augen stehen jetzt weit offen, stieren mich wutentbrannt an. Ich werfe mich gegen ihn und gemeinsam gehen wir zu Boden. Erschreckend systematisch schlage ich auf ihn ein. Sehr untypisch für mich. Doch es bleibt keine Zeit, mich über mich selbst zu wundern.
Als er sich nicht mehr regt, springe ich zur Tür und verschließe sie mit einem lächerlich winzigen Schlüssel. Dann wiege ich das Skalpell in der Hand. Seine Schneide ist gekerbt und anschließend geschliffen worden, so dass kleine Zacken entstehen. Pech für ihn, dass er nun erfahren wird, welche hässliche Wirkung sie haben. Ich setzte mich rittlings auf seinen Bauch, halte seine schlaffen Arme mit meinen Knien fest. Dann nehme ich meine Krawatte ab, lege sie fein säuberlich außerhalb meiner Reichweite. Die Zeit reicht noch, um die Ärmel hochzukrempeln. Jemand hatte mir einmal erzählt, dass man die Ärmelaufschläge immer am schwersten sauber bekommt. Jedoch, als ob das anschließend nicht schon egal wäre.
Er erwacht mit dem ersten Schnitt. Bald läuft ihm das Blut in die Augen und über den Mund, so dass er nur mehr gurgelnde Laute hervorstößt, die bald ganz verstummen. Der Mann unter mir fiept wie ein Mädchen. Dennoch zeige ich keine Gnade, schneide motorisch weiter. Die unregelmäßige Klinge gleitet leichter und leichter durch die inzwischen vom Blut aufgeweichten Hautschichten. Ungehemmt lasse ich alle Wut aus mir heraus; auf James, den hinterhältigen Feigling, die drei Todesboten und ihre dekadenten Spiele mit den Seelen, auf mich selbst, weil ich es einfach nicht schaffe, glücklich und zufrieden zu sein. Mit einer
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