KALTHERZ
Adresse in ihren Notizen und fuhr kurz entschlossen hin. Es waren wirklich nur einige Straßen weiter, und mit dem Auto war sie in weniger als fünf Minuten am Ziel.
Das Künstleratelier befand sich auf dem Grundstück e i ner ehemaligen Ölmühle. Magnus Knab hatte das e r wähnt. Katja musste durch einen gepflasterten Innenhof gehen. Im Hintergrund diente ein altes Gebäude als Keller- und M u sikkneipe, wie einem großen Metallschild zu entnehmen war. Auf der rechten Seite wurde der Hof von einer Villa begrenzt, deren Fassade aus Fachwerk bestand. Geschnitzte Holztürmchen thronten auf dem östlichen und wes t lichen Giebel des Hauses. Das Fachwerk leuchtete in einem hellen Grün, wozu die neu eingesetzten braunen Holzfenster e i nen schönen Kontrast a b gaben. Mehrere Bäume würden im Sommer Schatten spenden in dem kleinen Gärtchen, das seitlich am Haus angelegt worden war. Jetzt ragten alle r dings nur kahle Äste in den bewölkten Himmel..
Eine zierliche Frau in schwarzen Hosen und schwarzem Rollkrage n pullover kam mit einem Arm voll leerer Kartons aus der Tür. Die blonden Haare hatte sie am Hinterkopf zusammengesteckt. Sie war u n geschminkt und hatte klare au s drucksvolle Gesichtszüge. Katja schätze sie auf Anfang vierzig. Es war Marianne Lessing, die Leiterin des Künstle r ateliers, wie Katja erfuhr. Sie bat die Kommissarin herein, nachdem diese sich vo r gestellt hatte.
„Es gibt noch offene Fragen zu dem Todesfall von L o thar Meyer, und in diesem Zusammenhang wollte ich mir gerne einmal seine Arbeiten anschauen.“
Marianne Lessing lächelte sie freundlich an und machte mit dem Arm eine au s holende Bewegung.
„Kein Problem, ich zeige Ihnen gern, was Lothar Meyer alles gemalt hat. Möchten Sie sich vorher unsere Räume a n schauen?“
Katja wollte schon abwehren, aber dann siegte ihr Int e resse.
Überall standen Farbeimer. An den Wänden lehnten hohe Papierrollen. Eine gra u haarige Frau mittleren Alters malte mit Kreide kraftvoll Sonne n blumen auf einen blauen Untergrund. Sie schienen im Sonnenlicht zu leuchten, ein i ge Blütenblätter sahen aus, als wehten sie leicht im So m merwind hin und her.
Neben ihrem Platz entstand ein Bild mit unzähligen r o ten Vögeln, die sich in unterschiedlichen Positionen im Flug befanden. Der Maler, ein Mann mit dem Down Sy n drom, lächelte still vor sich hin, während er mit Acry l farben weitere Vögel auf einen blau-schwarz-verlaufenden Hinte r grund pinselte.
Marianne Lessing führte sie mit einigen erklärenden Worten über den jeweiligen Künstler weiter, wobei sie dem einen oder anderen bestätigend zunickte. Sie waren bei Se l bermann angekommen. Katja hatte ihn schon beim H e reinkommen entdeckt. Er schaute kurz zu ihr auf, zeigte auf sein Bild und sagte: „Der Turm senkt sich in die Bläuung“, dann malte er zufrieden weiter. Besser hätte man sein Bild nicht b e schreiben können.
„Selbermann hat seine ganz eigene, sehr poetische Spr a che“, wollte ihr Marianne Lessing erklären, doch Katja u n terbrach sie und sagte lächelnd: „Wir kennen uns bereits vom Wohnheim.“
„Er ist immer auf Moti v jagd mit seinem Fotoapparat. Menschen, und dabei besonders Frauen, interessieren ihn sehr.“ Marianne Lessing schmunzelte. „Aber auch G e bäude, vor allem Türme, sind beliebte Motive von ihm. Er f o tografiert alles und prägt es sich gleichzeitig ein. Er kann noch nach Jahren alles frei aus seinem Gedächtnis zeic h nen. Nichts und niemand Geliebtes verschwindet bei Se l bermann im Ve r gessen.“
Über welch beeindruckende Fähigkeiten diese Me n schen doch verfügten. Was hieß das überhaupt ‚geistig b e hindert’? Sie waren ei n fach anders, diese Menschen. Und sie bekamen von den sogenannten Normalen oft viel zu schnell einen Stempel aufgedrückt und wurden damit ins Abseits katapultiert. Katja musste sich selbst ei n gestehen, dass Menschen mit geistigen Behinderungen in ihrem De n ken bisher praktisch keine Rolle g e spielt hatten.
Im Nebenraum hingen Flugzeuge in den unterschie d lichsten Größen und Formen von der Decke herab. In e i ner anderen Ecke standen Häuser. Sie sahen teilweise aus, als befänden sie sich gerade im Rohbau. Katja sah die Leit e rin des Ateliers fragend an.
„Die Flugzeuge stammen von Matthias Bauer. Er ist ein absoluter Flugzeugfreak. Sie sehen ja, er versucht alle mö g lichen Flugzeugtypen naturgetreu nachzubauen und das Ergebnis ist verblüffend. Er arbeitet schließlich nur nach
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