KALTHERZ
Gefühl, und er ist nur ein einziges Mal in seinem ganzen Leben geflogen bis jetzt“, erklärte sie Katja.
„Aber die Bauten von Stefan haben mich von Anfang an besonders stark beei n druckt“, fuhr sie fort. „Leider sind die beiden Künstler heute nicht im Atelier. Stefan hat seine eigene Stadt gebaut, Häuser mit Computerarbeitsplätzen, Grünpflanzen und einem Fitnesscenter. S e hen Sie sich nur mal die Details an diesem Gebäude an“, sie zeigte auf eines der größten Häuser, das sich aus mehreren Ebenen z u sammenzusetzen schien.
„Es ist ein Einkaufszentrum im Rohbau, die Fäden, die lose heraushängen, stellen die Elektrokabel dar, die noch nicht fertig verlegt worden sind. Und wissen Sie, was das Verblüffendste an den Ba u werken von Stefan ist? Sie sind bis ins Kleinste durchdacht, dieses würde ein gut funkti o nierendes Ei n kaufszentrum ergeben, sollte es jemals gebaut werden, und selbst die Statik stimmt bei seinen Bauten. Ein Statiker, der uns einmal besucht hat und ebenfalls von St e fans Gebäuden begeistert war, hat es übe r prüft.“
Sie sah Katja so stolz an, als ob der Bauherr ihr eigener Sohn wäre. Sie schien sich überhaupt stark mit den einze l nen Künstlern zu identifizieren und jeden Einzelnen in se i nem Schaffen immer wieder neu zu motivieren.
Katja war beeindruckt und hätte sich gerne noch mehr Zeit genommen. Aber die Fragen zu Lothar Meyers Tod gingen vor.
„Erzählen Sie mir doch bitte, ob Ihnen in letzter Zeit Veränderungen an Lothar Meyer aufgefallen sind.“
„Lothar und Stefan waren eigentlich befreundet, sie h a ben oft im gle i chen Raum gearbeitet.“
„Wieso ‚eigentlich’ befreundet?
„Lothar hat hauptsäc h lich gemalt, und das hat ihn sehr befriedigt. Aber in letzter Zeit hat er sich ve r ändert. Stefans Gebäude wurden in der hiesigen Presse a b gebildet und es wurde einige Male über ihn berichtet. Das hat Lothar wohl neidisch gemacht. Sie haben sich immer öfter gestritten und Lothar ist dabei ein paar Mal richtig aggressiv geworden. So kannte ich ihn gar nicht.“
„Wie hat Stefan darauf reagiert?“
„Am Anfang noch verhalten, aber dann wurde auch er wütend und wollte nicht mehr im gleichen Zimmer mit L o thar arbeiten. Es hat mir sehr leid getan, dass die beiden solche Schwierigkeiten miteinander hatten. Ich wollte schlichten, bin aber nicht zu Lothar durchgedrungen. Er war auch oft sehr müde. Seine Bilder haben sich ebe n falls in der letzten Zeit verändert.“
„Können Sie mir die Bilder bitte mal zeigen, die Sie meinen?“
„Ja natürlich“, Marianne Lessing ging zu einem Ze i chenschrank mit extrabreiten Schu b laden und holte einige Bilder heraus.
„Hier sind zwei der letzten Bilder. Die Farben und Formen haben sich verändert, sie sehen düster und fast b e drohlich aus, finden Sie nicht? Und hier sind zum Ve r gleich zwei Bilder vom vorigen Jahr, sehen Sie selbst.“
Die Bilder wirkten auf Katja, als hätten zwei ve r schiedene Künstler sie gemalt. Auch mit ungeschultem Auge konnte man eine starke Veränderung erkennen: hell und freun d lich die früheren, düster und bedrohlich seine letzten Bilder.
„Ich würde sie mir gerne mal in Ruhe anschauen und eventuell unserem Polizeipsychologen zeigen, hätten Sie etwas d a gegen?“
Marianne Lessing schüttelte den Kopf.
„Nein, natürlich nicht. Vermuten Sie denn mehr hinter seinem Tod? Ich dachte, es sei ein tragisches Unglück g e wesen.“
„Wir ermitteln noch, haben bisher aber keinen konkr e ten Verdacht. Leider hat sich ein weiterer Todesfall e r eignet. Magnus Knab, der Leiter des Wohnheims, ist g e tötet worden. Kannten Sie ihn persönlich?“
Marianne Lessing war völlig überrumpelt.
„Um Gottes willen, wann ist das passiert?“
„Er wurde heute Nacht tot aufgefunden.“
„Ich kannte ihn. Aber nicht besonders gut. Lediglich bei Festen, die im Wohnheim stat t fanden, habe ich ihn hin und wieder gesehen. Das ist ja furchtbar“, fügte sie nach einer Pause hinzu. „Sehen Sie einen Zusammenhang zwischen den beiden Tode s fällen?“
„Wir können noch gar nichts weiter dazu sagen“, en t gegnete Katja.
Marianne Lessing war eine intelligente Frau. Sie würde sich ihre eigenen Gedanken dazu machen, und Katja war sich sicher, dass sie über eine gute Menschenkenntnis ve r fügte. Vielleicht würde sich noch einmal ein längeres G e spräch mit ihr über Lothar Meyer und Magnus Knab e r geben, aber jetzt drängte die Zeit. Sie konnte nicht ewig
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