Kaltherzig
Jeanshemdträger auf die Schulter und sagte, er würde ihn bald wieder sehen.
Ich machte kehrt und ging in den vorderen Teil des Ladens zurück, wobei ich darauf achtete, nicht von der Angestellten gesehen zu werden, mit der ich vorhin gesprochen hatte. Sie war mit einem Kunden beschäftigt. Ich schlüpfte ins Freie und ging zu meinem Wagen. Brody stieg in den perlweißen Cadillac Escalade: STAR POLO 1. Der Argentinier setzte sich ans Steuer eines silbernen Mercedes-Cabrios und folgte dem Cadillac aus dem Parkplatz. Ich fuhr ihnen hinterher.
7
Der Haupteingang zu Star Polo am South Shore Drive - wo es selbstverständlich weit und breit kein Ufer gibt, außer dem eines Abflusskanals - sah aus wie der Eingang zu einer Luxus-Ferienanlage. Steinsäulen, riesige Bäume, Beete mit roten Geranien, kurz geschnittenes Gras. Der Cadillac und der Mercedes fuhren hinein. Ich passierte die Einfahrt und steuerte das Stalltor ein Stück weiter unten an der Straße an.
Ein Reiter kam mit drei angeleinten Ponys auf jeder Seite
vorbei, die er zum Traben ausführte. Der Hufschmied schlug auf ein heißes Eisen ein, um es dem Fuß eines Pferdes anzupassen, den ein Stallbursche festhielt. Eine Pflegerin spritzte die Beine eines Braunen im Waschgitter gegenüber der Einfahrt ab. Offenbar gab es bei Star Polo keinen Ruhetag.
Ich stellte meinen Wagen im Schatten ab und ging zu dem Mädchen hinüber.
Es hielt den Schlauch gedankenverloren in einer Hand und spielte mit der andern zwanghaft mit einem Medaillon, das an einer dünnen schwarzen Schnur um ihren Hals hing. Das kalte Wasser lief von den Vorderläufen des Pferdes und sammelte sich auf dem Beton. Das Mädchen sieht traurig aus, dachte ich; andererseits konnte es gut sein, dass ich nur meine eigenen Gefühle auf alle Leute projizierte, denen ich begegnete. Es erschien mir falsch, dass die Leute weitermachten, als wäre nichts geschehen. Doch ihre Realität war eine andere als meine.
»Langweiliger Job«, sagte ich.
Die Pferdepflegerin sah auf und blinzelte. In den Zwanzigern, schätzte ich. Ihr lockiges Blondhaar war unordentlich hochgesteckt. Sie sah in dem ausgewaschenen Tanktop und der weiten Cargohose anders aus, aber ich erkannte sie von einem der Partyfotos wieder. Sie sah mich aus großen, kornblumenblauen Augen an.
»Pferde abspritzen«, sagte ich. »Es ist langweilig.«
»Ja. Kann ich Ihnen helfen? Suchen Sie den Stallmeister?«
»Nein, eigentlich suche ich Sie.«
Sie legte die Stirn in Falten. »Kennen wir uns?«
»Nein, aber ich glaube, wir haben eine gemeinsame Bekannte. Irina Markova.«
»Klar, ich kenne Irina.«
»Ich kenne Sie von einem Foto von ihr. Von einer Party auf der Poloanlage. Ich heiße übrigens Elena«, sagte ich und streckte ihr die Hand hin. »Elena Estes.«
Sie schüttelte sie zögerlich; offenbar wusste sie noch immer nicht, was sie von mir halten sollte. »Lisbeth Perkins.«
Die Freundin auf der Anruferliste.
»Haben Sie Irina in letzter Zeit gesehen?«, fragte ich.
»Sie arbeitet nicht hier.«
»Ich weiß. Ich meine überhaupt.«
»Wir waren Samstagabend aus. Wieso?«
»Ich arbeite auf demselben Pferdehof wie sie. Wir haben sie seit ein paar Tagen nicht gesehen.«
Das Mädchen zuckte die Achseln. »Es ist ihr freier Tag.«
»Wissen Sie, wo sie sein könnte? Was macht sie normalerweise an ihren freien Tagen?« Mir war jede Information willkommen, was Irinas Leben außerhalb der Arbeit betraf.
»Ich weiß nicht. Manchmal fahren wir an den Strand, wenn wir beide freihaben. Oder gehen einkaufen.«
»Wo wart ihr am Samstagabend?«
»Sind Sie Polizistin oder was?«
»Nein, ich mache mir nur Sorgen. Die Welt ist ein gefährlicher Ort, Lisbeth. Schlimme Dinge passieren.«
Sie lachte unwillkürlich. »Nicht Irina. Die kann auf sich aufpassen.«
Wie wünschte ich mir, es hätte in jenem Augenblick gestimmt, in dem klar geworden war, dass sie es nicht konnte.
»Sie hatte es am Samstag sehr eilig, fortzukommen«, sagte ich. »Hattet ihr etwas Besonderes vor?«
»Einfach nur ausgehen. Kein bestimmter Laden. Wir waren in ein paar Clubs an der Clematis Street.«
»Welche Clubs?«
Sie sah verärgert aus, als sie sich zum Wasserhahn umdrehte und das Wasser abstellte.
»Ich weiß nicht«, sagte sie ungeduldig. Meine Fragen machten sie nervös. Ob sie einen Grund dafür hatte oder ob sie einfach nur spürte, dass etwas nicht stimmte, wusste ich nicht. »Was spielt es für eine Rolle? Wir haben ein paar Clubs abgeklappert, wir haben
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