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Kaltherzig

Titel: Kaltherzig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tami Hoag Fred Kinzel
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entgegen, das ich seit Jahren nicht mehr gesehen hatte, außer wenn ich sehr schlecht träumte.
    Die Zeit schien stehen zu bleiben. Ich hörte auf zu atmen, merkte es aber erst, als schwarze Spinnweben am Rande meines Gesichtsfelds auftauchten.
    Bennett Walker. Immer noch gut aussehend. Dunkles Haar, blaue Augen, braun gebrannt. Spross der Walker-Familie, der halb Südflorida gehörte.
    Bennett Walker, der Mann, den ich vor langer Zeit zu heiraten beabsichtigte, in einem früheren Leben, ehe sich alles geändert hatte, was mich betraf.

    Bevor ich das College hinschmiss.
    Bevor mein Vater mich enteignete.
    Bevor ich Polizistin wurde.
    Bevor ich zur Zynikerin wurde.
    Bevor ich aufhörte, an ewiges Glück zu glauben - vor zwanzig Jahren.
    Bevor mich Bennett Walker bat, ihm ein Alibi für die Nacht zu liefern, in der er eine Frau vergewaltigt und beinahe tot geprügelt hatte.

8
    Ich wohnte in jenem Winter 1987 zeitweise in einer Eigentumswohnung im Polo Club. Machte eine Pause von der Duke University, der Alma Mater meines Vaters.
    Ich war keine gute Studentin - nicht, weil ich nicht fähig gewesen wäre, sondern weil es meinen Vater ärgerte, und das war mir damals wichtig. Aus genau diesem Grund hatte ich mich natürlich auch für die Duke entschieden.
    Mein ganzes Leben lang hatte ich Edward Estes nur dem Namen nach als einen Vater angesehen. Selbst in meinen frühesten Erinnerungen taucht er immer nur am Rande auf, nicht dazugehörig, nur um des äußeren Scheins willen anwesend. Er hätte wahrscheinlich dasselbe über meine Bemühungen, seine Tochter zu sein, sagen können, aber ich war ein Kind und er nicht.
    Kinder sind unheimliche kleine Geschöpfe. Sie lesen den Subtext und begreifen die komplizierten Feinheiten von Menschen. Sie stimmen ihr eigenes Denken, ihre Handlungen
und Reaktionen darauf ab. Kinder sind ihrer Intuition näher und vertrauen ihr mehr, und die Einflüsse, die uns als Erwachsene blockieren und ablenken, hatten noch keine Chance, diese Klarheit des Instinkts zu vernebeln.
    Edward Estes war nicht mein biologischer Vater. Seine Frau Helen Ralston Estes und er hatten mich als Säugling adoptiert. Eine private und kostspielige Adoption, wie man mir mindestens einmal jährlich in Erinnerung rief - und immer dann, wenn es den größtmöglichen emotionalen Schaden anrichtete.
    Sie hatten keine eigenen Kinder bekommen können. Er war wütend über seine Unfähigkeit gewesen, einen richtigen Erben zu produzieren, und hatte es mittels der erstaunlichen Verrenkungen seiner Psyche fertiggebracht, diesen Zorn umzudrehen und auf Helen und mich zu richten. Auf Helen, weil sie auf einer Adoption bestand. Auf mich, weil ich die wandelnde Erinnerung an seine körperliche Unzulänglichkeit war.
    Helen, ein oberflächliches, verzogenes Kind reicher Eltern, hatte festgestellt, dass ihrem Leben das modische Accessoire fehlte, das alle ihre Freundinnen zu jener Zeit hatten: ein Baby. Also suchte sie sich einen Babyvermittler, leistete eine Anzahlung, kam auf eine Liste und wartete ungeduldig. Die Übung sollte in genau derselben Weise und mit genau derselben emotionalen Tiefe in den Neunzigern wiederholt werden, als sie unbedingt eine dollargrüne Birkin-Tasche von Hermès haben musste.
    Anders als die Birkin-Tasche war ich je nach den modischen Vorlieben in Helens Leben mal mehr und mal weniger im Trend gelegen. Sobald ich im Alter von zwei Jahren entdeckte, wie man rebellierte, wurde ich an das Kindermädchen
weitergereicht und wurde nur selten in der Öffentlichkeit gesehen, bis ich das perfekte Niedlichkeitsalter erreichte: fünf. Mit fünf wurde ich wieder Helens Lieblingspuppe, die sie herausputzen und zu Mutter-Tochter-Anlässen und anderen idealen Gelegenheiten für ein Foto ausführen konnte - zum Beispiel Reitstunden.
    Zu meinem Glück erwies ich mich als Naturtalent auf einem Pferd. Nicht nur, dass ich ein süßer Knopf war mit meinen Zöpfen und einem mit Samt verkleideten Helm, ich konnte mich auch wie eine Klette auf einem Pony halten und brachte in null Komma nichts blaue Bänder nach Hause.
    Alle lieben Sieger.
    Selbst meinem Vater gefielen bei aller Abneigung gegen mich die Auszeichnungen und die Aufmerksamkeit, die ich als kommender Reitstar mitbrachte. Mein Reittalent wurde das Faustpfand, dem ich es verdankte, mit vierzehn nicht in ein Internat in der Schweiz abgeschoben zu werden, als ich dabei erwischt wurde, wie ich mit dem zwanzigjährigen Sohn des Gärtners Gras rauchte und Schnaps trank.

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