Kaltherzig
Persönliche Gefühle spielten bei dieser Sache keine Rolle für ihn, und sie sollten auch keine spielen.
»Was hast du dort oben gesehen?«, fragte er.
»Dasselbe wie du.«
»Ich meine, sah es aus, als wäre irgendetwas anders als sonst?«
»Ich hätte es nicht bemerkt. Ich war nie zuvor in Irinas Wohnung. Sie blieb ziemlich für sich.«
Er nickte, dann rieb er sich mit der Hand übers Gesicht und fuhr in seinen Nacken. Die Muskeln dort würden hart und straff wie Seile sein, die ein schweres Gewicht tragen. In der rechten Schulter würde er einen Knoten von der Größe eines Tennisballs haben. Er würde stöhnen wie ein Sterbender, wenn man anfing, die verhärtete Stelle mit einer Massage zu bearbeiten.
Ich hatte nicht die Absicht, das zu tun. Ich wusste es nur, weil ich es viele Male getan hatte.
»Wo warst du?«, fragte er, wie er es immer getan hatte, wenn wir uns zum Abendessen trafen. Wie war dein Tag ... Wo warst du... Was hast du getrieben ...
»Ich muss mich setzen.«
Ich ging vor die Scheune und wandte mich in Richtung Reitarena. Die Gartenbeleuchtung war inzwischen angegangen, da die Sonne unterging. Ich setzte mich auf eine verzierte Parkbank. Landry nahm am anderen Ende Platz.
Ich erzählte ihm von dem Foto auf Irinas Laptop, dem von der Party am Spielfeldrand, wie ich Lisbeth Perkins bei Star Polo gefunden hatte und was Lisbeth mir über die Begegnung mit dem Typen in dem Club an der Clematis Street erzählt hatte.
»Sie kannte seinen Nachnamen nicht?«
»Nein, aber sie hat ein Foto von ihm auf ihrem Handy.« Ich erzählte ihm nicht, dass ich das Foto ebenfalls hatte. Ich wollte es ihm nicht zeigen, wollte mir dieses letzte Foto nicht noch einmal vor Publikum ansehen müssen. »Sie hat außerdem Fotos von Irina später am Abend auf einer Geburtstagsfeier im Players. Lisbeth hat die Party etwa um eins verlassen. Irina ist geblieben.«
»Irgendwer von Interesse bei der Party?«
»Ein Haufen reicher Männer mit zweifelhafter Moral«, sagte ich. »Jim Brody, der Besitzer von Star Polo. Ein paar berühmte Polospieler. Paul Kenner, Mr. Baseball...«
»Spitball«, korrigierte er mich und schaute finster. Kenner hatte mich einmal vor seinen Augen angemacht. Männer.
»Ein paar reiche Jungs aus Palm Beach. Bennett Walker.«
Irgendwie erwartete ich eine gewaltige Reaktion von Landry, wenn ich diesen Namen erwähnte, als würde er sofort meine ganze Geschichte mit Walker parat haben. Wie dumm. Landry hatte zu dieser Zeit noch nicht einmal in Südflorida gewohnt. Und ich hatte ihm gewiss nicht
mein Herz darüber ausgeschüttet. Unsere Bettgespräche hatten sich um aktuellere Ereignisse gedreht.
»Bennett Walker«, sagte er. »Der fährt Rennboote, oder?«
»Ich weiß nicht«, sagte ich, obwohl ich es wusste. Bennett und mein Vater hatten den Sport gemeinsam. Sie konnten stundenlang über Boote reden. Gut möglich, dass sie es immer noch taten. »Er ist in der Poloszene.«
»Reich.«
»Unanständig reich. Du solltest mit ihm reden«, sagte ich und fürchtete die Vorstellung.
Er nickte. »Ich werde mit jedem reden wollen, der an diesem Abend im Players war, bis hinunter zu den Hilfskellnern und Parkplatzjungs.«
Ich hätte ihm von Bennett und der Anklage wegen Vergewaltigung und Körperverletzung damals erzählen sollen. Ich hätte ihm erzählen sollen, dass ich beim Prozess ausgesagt hatte.
Ich hätte ihm erzählen sollen, dass ich Bennett Walker einmal geliebt hatte, genügend geliebt, um Ja zu sagen, als er mich bat, ihn zu heiraten. Aber ich sagte Landry nichts von alledem. Er würde es früh genug herausfinden.
Alle diese Erinnerungen aus dem emotionalen und psychologischen Narbengewebe zu zerren, würde eine fürchterliche Erfahrung werden. Ich wollte das Unvermeidliche so lange wie möglich hinauszögern. Ich kam mir vor wie Harrison Ford in der Eingangsszene von Jäger des verlorenen Schatzes , als ihm der riesige Stein bei seiner Flucht aus dem geheimen Tempel hinterherrollt. Die mächtige Kugel meiner Vergangenheit und meines Schmerzes rollte auf mich zu, und es gab nichts, was ich tun konnte, um ihr zu entrinnen.
Landry streckte die Hand aus und streichelte mir sanft über den Hinterkopf. »Elena«, sagte er leise. »Es tut mir leid wegen heute Morgen. Wegen Irina. Wegen der Art, wie ich dich behandelt habe, als wir zum Fundort kamen. Ich bin nicht gerade der taktvollste Mensch, wenn ich wütend bin.«
»Du warst grausam«, sagte ich und sah ihn direkt an. Er wandte den Blick
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