Kaltherzig
Beziehung, brauchte ihn nicht. Er war überrascht gewesen, dass sie ihm erlaubt hatte, ihr über den Hinterkopf zu streicheln, als sie auf der Parkbank saßen. Ein Augenblick der Schwäche. Er wünschte, er hätte länger gedauert.
Dann schob er den Gedanken beiseite, stieg in seinen Wagen und ließ den Motor an. Er hatte einen Job zu erledigen, und die Nacht war noch jung.
Alexi Kulak verließ die Bar durch die Hintertür und begann auf und ab zu laufen. Auf und ab, immer dieselben vier Schritte, wie ein Tier im Käfig. Er hörte den Lärm aus
der Bar nicht, weil es in seinem Schädel so laut hämmerte. Er nahm seine Umgebung nicht wahr, er wusste nur, dass es Nacht war und das einzige Licht von einer Glühbirne über der Tür zur Bar stammte.
Irina tot. Das konnte nicht sein. Das konnte nicht passiert sein. Er wollte es nicht glauben. Es musste sich irgendwie um einen Irrtum handeln.
Er fühlte sich krank und wütend und... und verloren. Solche Dinge passierten ihm nicht. Er war derjenige, der immer alles unter Kontrolle hatte. Die Welt um ihn herum funktionierte nach seinen Regeln, durch seine Erlaubnis. Es war unvorstellbar, dass ein Mensch in seine Welt gekommen war und diese schreckliche Tat begangen hatte. Es durfte einfach nicht sein.
Er zog sein Handy mit zitternden Fingern aus der Tasche und drückte die Taste für ihr Handy. Es spielte keine Rolle, dass er diese Nummer bereits zweimal gewählt hatte und immer sofort an die Mailbox geleitet worden war.
» Hier ist Irina. Bitte hinterlassen Sie eine Nachricht.«
Er wartete ungeduldig auf den Piepton. »Irina? Irina, geh verdammt noch mal ans Telefon. Antworte! Antworte!«
Er schrie in sein Handy, wahrend er weiter auf und ab lief. Schweiß rann ihm über die Stirn und in die Augen. Sein Haar war nass davon. Sein Herz hämmerte.
»Irina? Irina!«
Er rief ihren Namen wieder und wieder, bis zuletzt nur noch ein wilder, animalischer Schmerzensschrei aus ihm drang.
Alexi Kulak war wohlbekannt für die Beherrschung seiner Gefühle. Die meisten Leute hätten gesagt, er habe keine, aber das stimmte nicht. In diesem Moment erfuhr er die
Art von Schmerz, dem man nur durch den Tod entflieht. In diesem Moment erfuhr er eine Wut, die die Erde und alles auf ihr versengen konnte. In diesem Moment erfuhr er eine Hoffnungslosigkeit, die allen Lebensmut vernichtete.
Irina war tot. Er wusste es jetzt. Er spürte die Abwesenheit ihrer Lebenskraft. Die Leere drückte wie ein Amboss auf ihn.
Das Handy glitt ihm aus den Fingern und prallte auf den rissigen Asphalt. Er hob die Hände vors Gesicht und fühlte seine heißen Tränen, er ging in die Knie und sank vornüber, ohne Rücksicht auf seinen makellosen Maßanzug.
Was bedeutete ein Anzug? Er bedeutete nichts. Nichts bedeutete noch etwas. Irina war nicht mehr, sie war tot, ermordet, man hatte ihr das Leben entrissen. Man hatte ihren Körper beseitigt wie den Kadaver eines Tieres, in einen schmutzigen Kanal geworfen.
Worauf es nun ankam, war, dass jemand für ihren Tod bezahlen musste. Er würde diese Person finden. Er würde diese Person finden, und sie würde in jeder vorstellbaren Weise leiden, bis sie um ihren Tod flehte und betete.
Das versprach Alexi Kulak, und alle Welt wusste, dass Alexi Kulak ein Mann war, der sein Wort hielt.
11
Das Handy war mit rosaroten Kristallen verziert. Sehr mädchenhaft, was ihn überraschte. Irina war ansonsten in keiner Weise ein Kind gewesen. Ihrem Alter weit voraus, fand er. In einer Weise abgeschunden, die man nicht
erwartet hätte. Eine alte Seele, würden manche Leute sagen.
Er glaubte nicht an Seelen.
Der Klingelton, den es bei einem Anruf spielte, war klassisch, melancholisch.
Das Ding hatte den ganzen Abend geläutet. Er wartete eine Weile, nachdem die Melodie verklungen war, dann öffnete er das Handy. Der Bildschirm verriet ihm, dass es Nachrichten gab. Er drückte den Knopf und lauschte.
Es gab drei Nachrichten, alle auf Russisch, alle von demselben Mann. Der Tonfall der ersten war beiläufig. Anspannung schlich sich in die zweite. Anspannung und Ungeduld. Der dritte Anruf klang verzweifelt, panisch.
Er speicherte die Nachrichten, dann blätterte er im Menü auf Einstellungen und Ansage.
»Hier ist Irina. Bitte hinterlassen Sie eine Nachricht.«
Er drückte den Knopf erneut.
» Hier ist Irina. Bitte hinterlassen Sie eine Nachricht ... Hier ist Irina. Bitte hinterlassen Sie eine Nachricht... Hier ist Irina. Bitte hinterlassen Sie eine
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