Kaltherzig
ab.
»Ich weiß. Ich wünschte, ich hätte das mit dem Hinschmeißen nicht gesagt. Ich habe es nicht so gemeint.«
»Warum hast du es dann gesagt?«
Er dachte eine Weile über seine Antwort nach und wog die Wahrheit gegenüber einer schwächeren Version ab.
»Weil ich wollte, dass du leidest... So wie ich leide.«
Ich hätte mir nicht wünschen sollen, dass er mich berührte, aber ich wünschte es. Hätte ich in der Zeit zum Sonntagabend zurückgehen können, in dem Wissen darum, was am Montag geschehen würde, ich hätte wahrscheinlich nicht mit ihm Schluss gemacht. Ich hätte es wahrscheinlich verschoben, nur um mir den Luxus zu gönnen, Zuflucht zu ihm nehmen zu können. Er erwartete vermutlich, dass ich es dennoch tat.
Ich hätte mich vorbeugen und ihn küssen können. Er war nahe genug herangerückt. Und dann hätte er die Arme um mich geschlungen und mich festgehalten. Und wir wären in mein Gästehaus gegangen und im Bett gelandet - weil wir immer im Bett landeten. Und wir hätten einander erschöpft, und ich wäre vielleicht in der Lage gewesen, zu schlafen und nicht zu träumen.
Scheinwerfer bogen in diesem Moment in die Einfahrt. Sean kehrte von seinem Ausflug zum Strand zurück.
»Ist das Sean?«, fragte Landry. »Soll ich es ihm sagen?«
Ich schüttelte den Kopf und stand auf. »Ich mache es.«
»Ich werde mit ihm reden müssen.«
»Kann es bis morgen warten?«, fragte ich.
Er sah auf die Uhr. »Es kann bis später warten. Ich muss mir was zu essen holen. Ich fahr mal los und komme später wieder.«
»Danke.«
Er wollte noch etwas sagen, überlegte es sich jedoch anders. Ich entfernte mich, ehe er seine Meinung ändern konnte. Das Beste, was man in einem Moment der Schwäche tun kann: weggehen.
Ich schaute nicht zurück.
10
Landry sah ihr nach. Er folgte ihr in einiger Entfernung, bis er in der offenen Stalltür stand. Sean Avadon hatte seinen schwarzen Mercedes zwischen den Dienstfahrzeugen abgestellt. Er stieg mit verwirrter Miene aus. Elena ging zu ihm. Sie redeten. Landry kannte die Mimik, die Körpersprache. Die Verwirrung, der Schock, das Leugnen, die erdrückende Last der Gefühle, die mit dem Begreifen der schrecklichen Wahrheit einhergeht.
Sean nahm Elena in die Arme, und Landry gab es einen heftigen Stich vor Eifersucht, auch wenn er wusste, dass Sean schwul war. Es spielte keine Rolle, dass die Umarmung nichts mit Liebe oder Sex zu tun hatte. Er beneidete Avadon, weil er sie berühren durfte.
Er drehte sich um und ging wieder hinauf in die Wohnung. Weiss durchwühlte gerade Irina Markovas Wäscheschubladen.
»Wo warst du?«, fragte er und sah Landry gereizt an.
»Wieso? Soll ich noch mal rausgehen, damit du ungestört auf die Unterwäsche eines toten Mädchens abwichsen kannst?«
»Leck mich, Landry.«
»Leck dich selber.«
Der Mensch, der nach Fingerabdrücken suchte, warf ihnen nicht mal einen Blick zu.
»Du warst bei Estes«, sagte Weiss. »Hat sie dir einen geblasen oder was?«
Landry hätte ihn am liebsten getreten. Hart getreten. Und ihn dann vielleicht aus einem Fenster gestoßen. Er besah sich die Lage der Fenster. Eins ging auf die Reitarena hinaus. Er fragte sich, ob Weiss sie beobachtet hatte.
»Sie hat mir Informationen gegeben, du Blödmann. Darüber, was unser Opfer Samstagabend gemacht hat.«
In diesem Moment läutete das Telefon, und alle sahen es an, als wäre es eine Bombe, die im nächsten Augenblick losgehen würde. Landry ging zum Schreibtisch neben dem Bett und schaute auf das Display. Privat. Keine Nummer. Als sich der Anrufbeantworter einschaltete, bat Irinas Stimme den Anrufer, eine Nachricht zu hinterlassen, ohne süßliche Begrüßung. Nach dem Piepton hörte man eine Menge Russisch. Die Stimme eines Mannes.
Landry wartete einen Moment, dann nahm er den Hörer auf. »Hallo?«
Der Russe verstummte.
»Hallo?«, wiederholte Landry. »Wer ist da?«
»Wer sind Sie ?«, fragte die Stimme.
»Versuchen Sie, Irina Markova zu erreichen?«
Erneutes Zögern. »Wer will das wissen?«
»Hier spricht Detective Landry, vom Büro des Bezirkssheriffs in Palm Beach. Wer ist dort?«
»Was tun Sie an diesem Telefon?«
»Ich rede mit Ihnen. Sind Sie ein Verwandter von Ms. Markova?«
»Warum?«
»Sind Sie einer?«
»Ja. Sie ist meine Nichte.«
Landry holte tief Luft und ließ es heraus. »Ich bedauere, Ihnen mitteilen zu müssen, dass Irina Markova verstorben ist.«
»Was? Wovon zum Teufel reden Sie?«
Die Verwirrung.
»Ihre Leiche wurde heute
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