Kaltherzig
Morgen in einem Kanal außerhalb von Wellington gefunden.«
»Einen Scheißdreck! Nein! Wer zum Teufel sind Sie, Sie krankes Arschloch!«
Der Schock. Das Leugnen.
»Es tut mir leid, Sir. Die Tote wurde am Fundort von einer Bekannten eindeutig identifiziert.«
Der Atem des Mannes ging schnell und flach. »Sie ist tot? Sie sagen, dass sie tot ist? Irina?«
»Ja.«
»War Verkehrsunfall?«
»Nein. Sie wurde offenbar ermordet.«
»Ermordet? Was? Wer tut so etwas? Was für ein Tier tut so etwas?«
»Das wissen wir nicht. Ich würde gern mit Ihnen persönlich
sprechen«, sagte Landry. »Vielleicht können Sie uns helfen.«
Schweigen. Langes Schweigen. Er murmelte auf Russisch etwas, das wie ein Gebet klang, dann stöhnte er: »O mein Gott. O mein Gott. Irina.«
Die erdrückende Last der Gefühle, die mit dem Begreifen der schrecklichen Wahrheit einhergeht.
»Sir?«, sagte Landry. »Ich brauche Ihren Namen und Ihre Adresse. Ich muss mit Ihnen persönlich wegen der Übergabe der Leiche Ihrer Nichte sprechen.«
Der Mann legte auf.
Landry legte das Telefon weg und rief über sein Handy den Wachhabenden im Bezirksgefängnis an, um sich eine Verbindung zu einem russischen Dolmetscher geben zu lassen. Betrunkene, Obdachlose und Kriminelle aller Nationalitäten passierten routinemäßig das Gefängnis. Es war wichtig, Leute zur Verfügung zu haben, die ihnen ihre Rechte übersetzten, ihnen sagten, wie man das System manipulierte und ihnen alles an Englisch beibrachten, was sie wissen mussten: Ich will einen Anwalt sprechen.
Landry wollte wissen, welche Nachricht der Anrufer angefangen hatte. Er konnte nicht feststellen, ob der Mann tatsächlich Irina Markovas Onkel gewesen war oder ob ihnen nur die Sprache gemeinsam war.
Die Russenmafia hatte in den Achtzigern in Miami Fuß gefasst und sich wuchernd wie Kudzu über den ganzen Staat ausgebreitet; sie war in alle illegalen und korrupten Geschäfte eingedrungen, die es gab. Die Russen waren schlau und skrupellos, eine beängstigende Mischung.
Landry hatte keinen Grund zu der Annahme, dass Irina Markova Kontakt zu Kriminellen gehabt hatte, aber er
wusste, sie hatte einen sehr kostspieligen Geschmack, der sich mit dem Gehalt einer Pferdepflegerin nicht einmal ansatzweise finanzieren ließ. Designerkleidung, Designerschuhe, Designertaschen und eine Schachtel voll Diamantschmuck.
»Hat er seinen Namen genannt?«, fragte Weiss.
»Nein.«
»Ist er ein Verwandter oder was?«
»Vielleicht. Er behauptet es.«
Landry setzte sich an den Schreibtisch, griff nach Irinas Telefon und versuchte die Schnellwahlnummern. Die erste gehörte einem gewissen Alexi.
Er drückte auf Wählen. Ein Telefon begann zu klingeln. Niemand meldete sich. Nach viermaligem Läuten sprang die Mailbox an.
»Ich kann Ihren Anruf nicht entgegennehmen. Hinterlassen Sie eine Nachricht.«
»Na also«, flüsterte Landry für sich. Treffer beim ersten Versuch. Die Stimme war dieselbe. Jetzt konnte er ihr einen Vornamen zuordnen. Alexi.
Der Piepton erklang.
»Sir, hier ist noch einmal Detective Landry. Die Leiche Ihrer Nichte wurde ins Büro des amtlichen Leichenbeschauers im Strafjustizgebäude des Bezirks Palm Beach an der Gun Club Road 3126 in West Palm Beach gebracht. Morgen wird eine Autopsie stattfinden. Ihre sterblichen Überreste werden voraussichtlich Ende der Woche freigegeben werden. Bitte rufen Sie mich zurück, wenn Sie Zeit haben.«
Er gab seine Handynummer durch und beendete den Anruf.
»Hast du seine Nummer erhalten?«, fragte Weiss.
»Nein.«
Landry ging in die Hocke und steckte die Telefonkabel aus.
»Ich fahre ins Büro zurück«, sagte er. Er nahm das Telefon am Sockel, wickelte die Schnur darum und machte sich auf den Weg zur Tür.
»Und was soll ich tun?«, fragte Weiss, verärgert, weil er ausgeschlossen wurde.
»Fahr nach Hause. Ich brauche dich nicht.«
Landry ging die Wendeltreppe hinunter und verließ die Scheune. In Elenas Haus brannte Licht, nicht jedoch im Haupthaus. Vermutlich war Sean bei ihr. Sie tranken wahrscheinlich etwas. Avadon würde Fragen stellen. Elena würde ihm alles genau erzählen. Sie würden ihre Fassungslosigkeit, ihren Schock, ihre Trauer miteinander teilen.
Er wusste, er war nicht eingeladen. Sie wäre stinksauer, wenn er versuchen würde, sich zu ihnen zu gesellen. Er hatte Irina nur flüchtig gekannt. Er wäre ein Fremder gewesen, ein Eindringling. Elena wollte ihn ohnehin nicht um sich haben. Sie hatte sich so entschieden. Sie wollte keine
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