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Kaltstart

Titel: Kaltstart Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcus Hammerschmitt
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peinliche Asymmetrie dadurch, dass F. sich in materielle Abhängigkeit von W. begibt; nicht nur schenkt W. ihm seine alten Schläger, damit sie beide zusammen Tennis spielen können, nicht nur trägt der junge F. des jungen W. abgelegte Anzüge, obwohl sie ihm nicht passen, sondern die Verstrickung nimmt existenzielle Züge an: “Später hat W. mir ein ganzes Studium bezahlt: 16 000 Franken (was damals mehr wert war als heute) für vier Jahre; also 4000 Franken im Jahr.” Schonungslos geht Frisch mit sich selbst ins Gericht, denn sein ganzer Gefühlshaushalt in Bezug auf W. ist von einem tief masochistischen Minderwertigkeitskomplex gekennzeichnet. Die eigene Wut über die unerträgliche Diskretion des Gönners wird in einem Meer aus Dankbarkeit ertränkt. Niemals kommt es zum Konflikt zwischen den beiden, weil die Überlegenheit des W. von Anfang an ausgemachte Sache ist. Die Kräfte zu messen, so fühlt F., wäre sinnlos, denn der Kampf ist bereits entschieden. Erst als Frisch sich auf eigene Füße stellt, und wird, was er sein will, nämlich Schriftsteller, gelingt die Loslösung. Plötzlich ist W. nicht mehr allzu interessiert, die ersten Stücke Frischs, die aufgeführt werden, sieht er sich noch an (nicht ohne fachmännisch-kunstsinnige Kritik daran zu üben), dann bricht der Kontakt ab.
    Bei mir war es nicht ganz so schlimm, wenn auch nicht weniger schmerzhaft. Georgs scheele Blicke habe ich bereits erwähnt, aber mein eigentlicher Gönner im Computerbereich (und manchmal darüber hinaus), sollte sich erst noch herauskristallisieren. Volker, der stets radikalere und pfiffigere zu Hausbesetzerzeiten, der coole Zampano, entwickelte sich von 1990 bis 1992 zu einem Computerfachmann, und wo ich ihm am Anfang noch hatte Tipps geben können, da wusste er mir bald fachmännischen Rat. Der Terror, der von Volker ausging, beruhte nicht auf sozialer Überlegenheit, auch war er kein Künstler, und wollte auch keiner sein, wie er oft betonte, aber technologische Kompetenz war ihm enorm wichtig. Auch Volker gab nicht an. Er zeigte mit einem gewissen Stolz, was er und seine Maschinen konnten, aber er protzte nicht damit herum. Wenn er mir eine seiner neuen Errungenschaften zeigte, konnte er recht nervös werden, es mag gut sein, dass er meine Anerkennung suchte, weil er sich ihrer nicht immer völlig sicher war. Er konnte sich ihrer sicher sein, denn seine Arbeiten, von der grafischen Aufbereitung eines Artikels, bis zu einer Multimedia-Engine, die Katalogisierung und Verwaltung von Fotos und Filmdokumenten erlaubte, hatten immer Hand und Fuß. Seine Arbeiten waren durchdacht, rational, praktisch, er wusste immer, worauf es ankam, Perfektion war seine Leidenschaft. Wenn mir einmal die Farben nicht gefielen, die er benutzt hatte, sagte ich es zwar, aber es blieb klar, dass das an der außergewöhnlichen Gesamtqualität des Produkts nichts änderte. Da er seine Fähigkeiten beruflich schnell umzusetzen wusste, verdiente er bald sehr viel mehr als ich, und daher konnte er sich weit schneller das Spielzeug leisten, nach dem ich mich verzehrte. Er hatte zuerst einen Scanner und ein CD-ROM-Laufwerk, er hatte zuerst einen 3-, dann einen 486er, er hatte zuerst ein Modem und er war zuerst im Internet, und mit der Haltung, dass das alles selbstverständlich sei und doch wohl einfach dazugehöre, ließ er mich an all dem teilnehmen. Technologisch oder handwerklich mit ihm gleichzuziehen, stand außer Frage, ich hatte nicht nur weniger Geld, ich begriff auch langsamer. Die unglaubliche Geschwindigkeit, mit der Volker seine Geräte bediente, zusammen mit der enervierenden Präzision der Ergebnisse ließen die Lage auch an der Know-How-Front hoffnungslos werden. Wie früher in der Politik, als er immer der radikalere, der zupackendere, der mutigere gewesen war, war er mir auch jetzt immer zwei oder drei Schritte voraus. Er eignete sich Programme unglaublich schnell an und war danach mit einer gewissen gereizten Ungeduld auch bereit, sein Wissen an mich weiterzugeben, vorausgesetzt, ich konnte seiner Geschwindigkeit folgen. Mehr als einmal saß ich in Panik neben ihm vor einem Bildschirm, und nickte alles ab, was er sagte, während ich verzweifelt versuchte, mir seine Arbeitsschritte zu merken. Schlimmer noch: Die extrem hohen Maßstäbe, die er an seine eigene Arbeit und an sein eigenes Werkzeug anlegte, wurden mir gegenüber zu Folterinstrumenten. Hatte ich etwas neues veröffentlicht, so prüfte Volker den Satzspiegel des Buchs sehr

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