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Kaltstart

Titel: Kaltstart Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcus Hammerschmitt
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kritisch, auf der Seite, die er aufschlug, fiel ihm der peinlichste Druckfehler des ganzen Buchs auf, der Preis war seiner Meinung nach zu hoch angesetzt, und am Ende hatte er, ohne Berücksichtigung meines eigentlichen Texts, eine solche Zahl von bedauerlichen Begleitumständen gefunden, dass mir das Buch verleidet war. Wenn er die Texte dann las, fand er sie meistens gut, gewisse Mängel in Rechnung gestellt. Was ich mir an Technologie einkaufte, fand selten Volkers Beifall. Entweder benutzte ich die falschen Programme, oder ich hatte zu wenig Arbeitsspeicher, oder mein Rechner lief nur auf fünfzig Prozent seiner Kapazität, weil er falsch eingerichtet war. Wenn ich mit einem Soft- oder Hardware-Problem zu ihm kam, schlug mir oft dieselbe gereizte Ungeduld wie beim Erklären der Essentials entgegen: “Warum klappt das denn nicht?”, war die Frage, die Volker oft stellte, und im Grunde war sie eigentlich schon beantwortet: Ich hatte etwas falsch gemacht. Kurz und gut, Volker nahm bei mir übermächtig den Platz eines bewunderten großen Bruders ein, der schon freihändig Rennrad fährt, wenn man selber noch Schwierigkeiten mit dem Roller hat.
    Im Gegensatz zu Frischs W. ist Volker niemals ein prätentiöses und dabei gedankenloses Arschloch gewesen, er hat wohl mit mir auf anderen Gebieten genauso hoffnungslos konkurriert wie ich mit ihm auf dem der Computer, aber was die Computer anging, war es wirklich schlimm. Vielleicht sollte ich trotzdem erwähnen, dass ich einen Bezug zu Computern habe, weil er mir gezeigt hat, wie das geht.

Microserfs

    Mein Eintritt in die Computerindustrie war formidabel. Da gab es diese Firma in Tübingen. Sie bastelte aus Teilkomponenten Computer zusammen, beklebte sie mit ihrem Label und verschickte sie meistenteils an Firmen, die ihr aufs Haar glichen. Sie saugte die Arbeitskraft von Tübinger Langzeitstudenten auf wie ein trockener Schwamm das Wasser des Lebens, und Volker arbeitete dort schon als “art director”. Er hörte von einer freien Stelle im “adress management” und meinte, das sei womöglich eine geeignete Kur für meine Geldschwindsucht. Die Firma, eine typische Garagengründung der frühen Achtziger, residierte mittlerweile in einem verhinderten Ziggurat von rotweißer Farbe, beschäftigte 120 Mitarbeiter in Tübingen und mehrere Dutzend sonst wo. Sie wurde geleitet vom Firmengründer Dietmar Duchené, den Volker immer zutreffend “Schwabbel” nannte, und seiner intriganten rechten Hand, die mit dem “Fürst” von Macchiavelli unter dem Kopfkissen schlief. Bei dieser Firma war alles ein wenig seltsam. Ich hatte mich bisher mit Jobs in der Industrie zurückgehalten, außer einem zweimonatigen Gastspiel bei einem Tübinger Maschinenbauer und einem dreiwöchigen Intermezzo bei einer Waldenbucher Schokoladenfabrik war da nichts gewesen. Diese Firma, der Inbegriff des mittelständischen schwäbischen Technologieunternehmens, war anders. Es war dort alles noch kränker als in den durch und durch dem Industriezeitalter verhafteten Fabriken, die ich vorher kennen gelernt hatte. Statt der burschikosen Wurstigkeit am Produktionsband herrschten hier amerikanische Management-Methoden. Man duzte sich, dabei war das Klima in der Firma so vergiftet, dass man sich gegenseitig nicht den Rücken zuwenden konnte, wenn nicht ein Messer darin stecken sollte. Intrigen waren hier viel heftiger und explosiver als an jedem anderen Arbeitsplatz, den ich vorher kennen gelernt hatte, die nichtindustriellen eingeschlossen. Ich staunte über Leute, die als Hilfskraft eingestiegen wurden, innerhalb von zwei Jahren zum Abteilungsleiter aufgestiegen waren und dann plötzlich von einem Tag auf den anderen rausgeschmissen wurden, Hausverbot inklusive. Man erzählte sich Geschichten von ehemaligen Mitarbeitern im “adress management”, die mit der Adressdatenbank ihre eigene Firma stiften gegangen waren. Es kamen hochrangige Mitarbeiter in unsere Glasbude, die von unseren Telefonen aus bei Kunden anriefen, und sich mit falschem Namen als Universitätsangestellte ausgaben, um im Namen soziologischer Studien die wahre Computerbedürftigkeit ihrer Gesprächspartner auszuspionieren. Es war streng verboten, auch nur eine Büroklammer mit nachhause zu nehmen, aber die Geschirrschränke in der Teeküche leerten sich immer wie von Zauberhand. Der Firmengründer schrieb E-Mails, in denen er seine Mitarbeiter persönlich zu besserer Arbeitsleistung aufforderte, dies verbunden mit der Drohung,

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