Kaltstart
demnächst werde von amerikanischen auf japanische Managementmethoden umgestellt. Bei der Einweihung eines neuen Betriebsgebäudes hielt er eine Rede, in der er die anwesenden Lieferanten der Firma mit der Aussicht bedrohte, fortan jeden Fehler und jede Fehlerquelle bei den gelieferten Waren ausfindig machen und zurückverfolgen zu können. Er sagte es nicht wörtlich, aber die Botschaft war klar: Wir ziehen jetzt andere Saiten auf, und ihr werdet mitmachen oder untergehen. Das eisige Schweigen nach Abschluss dieser Rede schien der Herr zu genießen. Als ich in seiner Firma anfing, gab es lustigerweise noch keinen Betriebsrat, und er musste in konspirativer Weise gegründet werden, damit die aussichtsreichsten Kandidaten für die ersten Betriebsratswahlen nicht sofort ihre Kündigung erhielten. Es war schon eine rechte Freude.
Mein eigener Job war bodenlos. Ich gab vier Stunden am Tag Adressen in die Datenbank ein, verschickte die Kataloge der Firma, nahm fehlgeleitete und von der Post zurückgeschickte Kataloge entgegen, um die Adressetiketten zu korrigieren, führte Gespräche mit Kunden über ihre Katalogwünsche, fraß, schiss, kotzte Adressen und Kataloge. Später kam noch die ehrenvolle Aufgabe dazu, das Computerdeutsch der Kataloge germanistisch zu durchleuchten und womöglich lesbar zu machen, aber weil ich zuviel herummoserte, nahm man bald einen anderen. Am Anfang hatte ich noch zwei Burschenschaftler in der Abteilung sitzen, von denen der eine sich als Chef ausgab. Das Herrenmenschlein wollte sogar bestimmen, an welchem Platz wer zu sitzen hatte, und getreu der alten Burschenehre sollte sein Kumpan immer am besten abschneiden; unser Konflikt wurde hässlich. Man intrigierte fleißig untereinander in der Abteilung, Rosi, eine pseudofeministische Mittdreißigerin mit Tendenzen zur Astrologie glänzte darin besonders, aber wir waren in dieser Stickoxydluft alle ganz gut dabei. Die Terminals waren alt und verbraucht, das UNIX-System, das auf den Servern lief, musste man sich selbst aneignen, die Arbeitsverträge befahlen den Angestellten über ihren eigenen Inhalt Stillschweigen zu bewahren. Muss ich erwähnen, dass die Bezahlung recht bescheiden war?
Warum arbeitete ich dort zweieinhalb Jahre? Nun, es gab in meiner Gegend nicht allzu viele Halbtagsarbeitsplätze für Langzeitstudenten, die eigentlich Künstler waren. Darum. Und wie hielt ich es aus? Nun, da waren die intriganten Gespräche mit den intrigierenden Arbeitskollegen, manchmal benahmen wir uns auch einfach wie normale Menschen, oder diskutierten sogar über Themen, die eine Diskussion wert waren. Ich unterhielt mich mit Volker, der zwar einen besseren Job hatte, aber an der ganzen Veranstaltung genauso litt. Wir kotzten uns in der Kantine aus, oder wir schickten uns zum Zeitvertreib gegenseitig schwachsinnige E-Mails, wie zum Beispiel diese hier:
From mhammers Wed Mar 30 11:35:22 1994
Subject: Re: boeoeoeps
Volker Becker said:
heute gefällts mir hier recht gut,
coole jobs und keinen stress
aber ich bin auch alleine,
dann kann ich besser organisieren.
hier isses prima sitzen, ohne
telefon und so. und du kannst
natuerlich auch meine frisur
bewundern.
(Volkers Haare sahen an diesem Tag aus, als habe sie jemand mit einem Dampfbügeleisen gebügelt, aber in zwanzig verschiedene Richtungen)
ach, wenn es doch nur mehr solch
schoene arbeitstage gaebe.
Meine Antwort:
Aber in der Selbstreflexion des sich selbst dialektisch entwindenden Arbeitsprozesses, in dessen Verlauf der antithetische Umschlag von Produktions- in die Reproduktionsphase dem Bewusstsein der Scheinfoermigkeit des Gesamtprozesses inhaerent ist, schlaegt auch das diesem Bewusstsein apodiktisch entgegengesetzte Warengesetz in sein dialektisches Gegenteil um.
Oder diese hier:
From mhammers Wed Feb 23 11:08:37 1994
Subject: ode
Sozialdemokratische Ode an einen art director
Unser Freund der Becker Volker
sitzt an seinem Terminal
ist ein Datenrueckverfolger
rund um diesen Erdenball.
Kann nicht schlafen, kann nicht essen
muss das Corel Draw bedienen
muss sich mit den Goettern messen
die auf hoechste Werte zielen.
Ist das hoechste Ziel die Kohle,
die er aus dem Job gewinnt?
Nein er schafft zum Firmenwohle
und damit die Wirtschaft stimmt! [10]
Manchmal rächte ich mich am Schweinesystem, indem ich ganz besonders üblen Kandidaten keine Kataloge schickte, sondern ihre Anrufe oder Postkarten schlicht und ergreifend unter den Tisch fallen ließ. Da waren
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