Kaltstart
zum Beispiel Naziverleger, Geheimdienstler, Soldaten und ähnliche Berufsgruppen, die meinetwegen ohne die hochwertigen Glanz-Vierfarbdruck Kataloge der Firma auskommen mussten, und daher in ihrem Tun und Wirken entscheidend geschwächt, behindert, wenn nicht gar völlig verhindert waren. Allerdings begrenzte ich meine Sabotageakte auf drei pro Tag, denn mein Widerstand sollte ja nicht auffallen. Die Rache des Kanalarbeiters! Wenn mich die Langeweile allzu fest in den Hintern biss, surfte ich im Internet. Das war eine der ganz wenigen spaßigen Sachen, die es in dieser Firma gab: Internetanschluss für alle Mitarbeiter. Zwar wurde jede angesurfte Website vermerkt, aber wer es nicht zu doll trieb, konnte unter dem Radar der Personalabteilung hindurchschlüpfen. Es ging die Sage, an den Arbeitsplätzen mit Farbbildschirmen sei der “Playboy” ganz groß, allerdings ging auch die Sage, in diesem Zusammenhang seien schon Kündigungen ausgesprochen worden. Ich las nicht den Playboy, sondern die TAZ, die zwar blöd war, aber immerhin ihre volle Ausgabe jeden Tag ins Internet stellte. Manchmal recherchierte ich auch ein wenig in den Arbeitspausen für meine Texte, und das wurde richtig interessant, als ich mir daheim einen Internetanschluss gönnte, und die Mails mit den netten Internetadressen von meinem Arbeitsplatz an meine Privatadresse schicken konnte. Joachim, der inzwischen der tatsächliche Chef der Adressabteilung geworden war, drückte alle Augen zu, solange die Adressen in die Datenbank aufgenommen wurden. Er hätte zwar gerne Karriere gemacht, aber er war zu weich und außerdem kein Hundesohn, und deswegen eigentlich völlig ungeeignet für eine leitende Position in der Firma. Ich surfte und arbeitete, und er ließ mir weitgehend meine Ruhe.
Es gäbe noch soviel zu erzählen. Da waren die kleinlichen Streitereien um Platz und Licht in den Großraumbüros, die Streiche des neandertalerhaften Hausmeisters, die Wartelisten, auf denen sich diejenigen eintragen wollten, die mit dem Porsche einer der Großkopfeten um den Block fahren wollten. Wie ein Kunde einmal ankam, und einen Tobsuchtsanfall hinlegte, weil sein Computer noch immer nicht ausgeliefert war. Wie ich mich in die schönen Frauen dort verguckte, (besonders eine Praktikantin aus Amerika) damit es mir nicht gar zu langweilig wurde. Wie ich von einer soziopathischen Mitarbeiterin und ihren genauso soziopathischen Freunden gemobbt wurde, und Tagträume davon hatte, die Firma mit fünf Litern Benzin dem Erdboden gleichzumachen. Und andere Döntjes mehr. Nach zweieinhalb Jahren fragte ich nach der Lohnerhöhung, die mir bei der Einstellung versprochen worden war. Der Personalchef, eine widerlich-ölige Kreatur wie aus einem Raymond Chandler-Roman, fragte mich grinsend: “Hast du das schriftlich?”, und ich kündigte. Als ich kündigte, bot er mir an, über die ganze Sache noch einmal zu reden, und als ich ihn fragte, ob das ein Gespräch über die Lohnerhöhung einschloss, sagte er mit einem bedauernden Blick: “Nein, leider.”
Was hatte ich nach zweieinhalb Jahren erfahren? Ich hatte erfahren, dass mir eine Existenz als Datensklave nicht taugte, nicht einmal halbtags. Ich hatte gesehen, wie es in einer Firma des schwäbischen Mittelstands zugeht. Ich hatte mir UNIX angesehen, und fand es wenig attraktiv. Ich konnte mit E-Mail und einem Internetbrowser umgehen, und fand es sehr attraktiv. Ich hatte meine eigene Eifersucht kennen gelernt, denn es war mir sehr schwer gefallen, mit Volker in derselben Firma zu arbeiten, während er dreimal mehr verdiente als ich.
Hit and Run (Acer Extensa 500)
Ende 1998. Kunde kommt in einen Computerladen. Wartet eine Viertelstunde auf Verkäufer, obwohl er sich nur ein Laptop ansehen will. (Kann sich grad keins leisten, und wird sich deswegen keins kaufen. Will nur mal gucken). Verkäufer ist tierisch beschäftigt. Sabbelt anderen Kunden voll mit dummem Zeug. Kunde wartet geduldig, dabei locker grinsend. Verkäufer kommt. Zeigt ihm ein klasse Laptop, voll der Honig, Markengerät von Acer, 3800 Mark. Kann sogar in geschlossenem Zustand als CD-Player benutzt werden, Lautsprecher gucken vorne raus. Kunde lächelt. Verkäufer lächelt verständnisinnig zurück. Weiß genau, dass Kunde nichts kaufen wird. “Sie dürfen gerne ein bisschen herumprobieren”, sagt Verkäufer, weil ein anderer Kunde schon wartet. Kunde legt die Hand auf das schöne Gerät. Tolle Sache das. Sieht aus wie aus schwarzer Sahne geschnitten,
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