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Kaltstart

Titel: Kaltstart Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcus Hammerschmitt
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Manchmal tat ich so, als könne man ihn wirklich in einer Hand tragen, wenn ich ihn vom Schreibtisch zum Sofa bugsierte, aber ich war froh, dass er mir nicht hinunterfiel, und kam mir ein bisschen albern dabei vor.
    Nein, mit diesem Laptop erlebte ich keine wirklichen Abenteuer, außer dem einen: Ich versuchte Linux darauf zu installieren. Linux, dieses freundliche und sichere Betriebssystem, diese kosten- und nervensparende Alternative zu Windows, der Tritt in den Hintern von Bill Gates, der Triumph der Open Source Philosophie. Das war vielleicht was. Es sollte Suse Linux 6.2 sein, weil es der Marktführer war, und obwohl mir das auch schon wieder so microsoftähnlich vorkam, und obwohl mir nicht ganz klar war, warum ich für drei CDs mit frei verfügbarer Software 99 DM bezahlen musste, dachte ich doch: Es muss sein. Das ist überhaupt die größte Falle im Umgang mit Computern, der Gedanke, es müsse sein. Nun ja, vielleicht sollte ich einfach zugeben, dass ich ein neues Spielzeug wollte. Computer sind schlicht und ergreifend meine Eisenbahn, und das ständige Herumgebastele an ihnen hat den Vorteil als Beweis für Zukunftskompetenz zu gelten, es ist in den Augen der Öffentlichkeit kein regressives Kind-im-Mann-im-Hobbykeller-Gescheiße, sondern das Gelbe vom Ei, das worauf es ankommt, ernsthafte Arbeit.
    Ich öffnete die Verpackung, und das Handbuch klappte wie von selbst an der Stelle auf, wo es hieß: “Linux in 30 Minuten.” Das ermutigte mich, denn eine Neuinstallation von Windows nimmt einen ganzen Abend in Anspruch, und ein Betriebssystem, das in seinem Handbuch von sich selbst behaupten konnte, es sei unter günstigen Umständen in 30 Minuten startklar, beeindruckte mich. Also krempelte ich die Ärmel hoch. Es war etwa 8.00 Uhr abends. Zwei Stunden später bemerkte ich, dass das mit der halben Stunde nichts mehr werden würde, und eigentlich hätte ich jetzt aufhören wollen, aber das ging leider nicht: Die Festplatte meines niegelnagelneuen Laptops war so blank wie ein Kinderpopo, und hätte ich jetzt mit allem aufgehört, hätte ich das Laptop genauso gut als Topfuntersetzer beim Mittagessen benutzen oder zum Fenster hinauswerfen können, es hätte keinen Unterschied gemacht. Dieses eigenartige Gefühl, wenn man genau weiß, dass man den Bogen überspannt hat, dass der Spieltrieb einen zu weit in unerforschte Gebiete hineingetragen hat, Handbuch hin oder her, und wenn man zusätzlich weiß, dass es kein Zurück gibt, weil das Ding jetzt, wenn es dumm kommt, nicht einmal mehr startet, und der Service auch nicht weiter weiß, und man das Ganze am besten zum Händler zurückträgt und um Gnade winselt, dieses Gefühl beherrschte meinen ganzen Unterleib. “3000 Mark” dachte ich, “3000 Mark”. Die Festplatte war neu partitioniert, Windows war völlig verschwunden, und jetzt hieß es, Linux wirklich aufzuspielen. Klappte eigentlich ganz gut. Nachts um zwölf meldete sich immerhin schon ein Bildschirm, der mich zur Eingabe meines Root-Passworts aufforderte, und das war doch immerhin schon was. Aber ich wollte mehr. Ich wollte eine grafische Benutzeroberfläche, die so ähnlich war wie Windows, ich wollte eine funktionierende Internetanbindung, ich wollte ein funktionierendes Schreibprogramm und ein genauso funktionierendes Grafikprogramm, und zwar noch vor dem Morgengrauen. Um es kurz zu machen: Es ging schief. Den X-Server konnte ich noch aufspielen und laden, aber als ich zum ersten Mal diese Oberfläche ansah, die mich in ihrer Schlichtheit ein wenig an diejenige erinnerte, die ich bei der mittelständischen schwäbischen Computerfirma kennen gelernt hatte, und als ich bemerkte, wie schneckenlangsam die Maus über den Bildschirm kroch, und als ich außerdem feststellen musste, dass Programme zum Laden eine schier unglaubliche Zeit benötigten, nämlich etwa viermal so lang, wie ihre Brüder und Schwestern auf Windows, da wusste ich: Linux hatte verloren. Natürlich war mir klar, dass das an Konfigurationsfehlern lag, die beseitigt werden konnten, natürlich wusste ich, dass das nicht das letzte Wort zu Linux war, aber es war 2.00 Uhr morgens, und ich wollte auf keinen Fall mit dem Gefühl ins Bett gehen, einen neuen Rechner ruiniert und ihn für mindestens zwei Wochen unbenutzbar gemacht zu haben. Denn so lange, schätzte ich, würde es dauern, bis ich mich halbwegs in Linux eingearbeitet, den Rechner mit seinem Drucker und seinem Modem versöhnt und das ganze Chaos in Ordnung gebracht hätte, und

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