Kalymnos – Insel deines Schicksals
Stehen würden verfolgen müssen, blieb neben ihr sogar noch ein Stuhl frei, der allem Anschein nach für Doneus reserviert war.
„Alles zu Ihrer Zufriedenheit, Mrs. Doneus?" erkundigte sich Kyrias Schwiegermutter.
„Ja, besten Dank, Asti."
„Wir sind sehr glücklich, dass Sie und Ihr Mann zur Taufe unseres Enkels gekommen sind. Wie sehr wir uns gewünscht haben, dass es ein Junge wird! Jeden Tag haben wir eine Kerze angezündet." Sie hob flehend die Hände. „Und der Himmel hat unsere Gebete erhört."
Plötzlich verstummte das Stimmengewirr im Raum. Unter den bewundernden Blicken aller Anwesenden ging Kyria mit dem kleinen Yannis zum Taufbecken, und der Priester rief die beiden Paten zu sich.
Instinktiv musste Julie an Maroula denken, deren Tochter am kommenden Wochenende auf den Namen Helena getauft werden sollte. Auch dazu waren Doneus und sie eingeladen, aber Julie bezweifelte schon jetzt, dass es bei der Taufe eines Mädchens ähnlich festlich zugehen würde.
Immerhin hatte Julie sich darum bemüht, bei der Wahl der Geschenke keinen Unterschied zu machen, und für beide Kinder ein Wickeltuch gekauft. Zu ihrer Freude hatte Doneus es nicht anders gehalten und zwei identische Goldkreuze besorgt, jeweils mit einem kleinen goldenen Kettchen.
Von ihrem Platz aus konnte Julie die Taufzeremonie bestens beobachten. Auch wenn sie kein einziges Wort verstand, war sie von der Litanei, die der griechisch-orthodoxe Priester anstimmte, zutiefst beeindruckt. Ihr war, als nehme sie an einem Ritual teil, das seit Jahrhunderten unverändert geblieben war.
Als Nächstes forderte der Priester Doneus als dem Paten auf, das Kind über das Taufbecken zu halten. Als er den Täufling in das Becken tauchte, fing Yannis laut zu schreien an, und er beruhigte sich erst wieder, als er endlich in den Armen seiner Mutter lag. Während diese ihn in ein großes Handtuch einwickelte, segnete der Priester das Taufkleid, das dem Kleinen gleich angezogen werden würde.
Das durfte Stephanos, der andere Pate, übernehmen, während Doneus das goldene Kreuz auf den Bauch des Kindes legte und das Kettchen in seinem Nacken verschloss.
Die Tatsache, dass alle Umstehenden plötzlich zu applaudieren begannen und sich lautstark unterhielten, nahm Julie als Zeichen, dass die eigentliche Zeremonie beendet war. Sie stand auf, um der überglücklichen Mutter zu gratulieren.
„Möchten Sie Yannis nicht auch mal nehmen?" Julie fühlte sich sehr geehrt und nahm Kyria den Jungen ab, während letztere sich umdrehte und davonging, um sich um die anderen Gäste zu kümmern.
„Was hat die blaue Perle an seinem Taufkleid zu bedeuten?" fragte Julie Doneus, der unvermittelt neben ihr stand.
„Sie soll das Böse abschrecken", erklärte er ihr.
„Ihr mit eurem Aberglauben. Du glaubst doch wohl nicht auch an den Unsinn?"
„Nein, Julie. Wie alle halbwegs gebildeten Menschen bin ich nicht im Geringsten abergläubisch. Was jedoch kein Grund ist, diese Tradition in Bausch und Bogen zu verdammen."
Vielleicht war er sich dessen gar nicht bewusst, aber Doneus hatte ein Thema angeschnitten, über das sie schon lange mit ihm hatte reden wollen. „Woher kannst du eigentlich so gut Englisch?" fragte sie direkt.
Die Frage schien ihn tatsächlich zu überraschen, zumindest überlegte er eine ganze Weile, bis er schließlich antwortete: „Weil ich in England studiert habe."
So wenig Doneus diese Frage erwartet zu haben schien - unvergleichlich mehr war Julie von seiner Antwort überrascht. „Wirklich?" Bestimmt war ihr anzusehen, wie schwer es ihr fiel, ihm das zu glauben. „Aber die englischen Universitäten sind doch unheimlich teuer ..."
„Ein Onkel war gestorben und hatte mir etwas Geld hinterlassen. Und ich hielt es für vernünftiger, mir davon ein Studium zu finanzieren, als es für irgendein überflüssiges Zeug auszugeben."
So klar und unmissverständlich die Antwort auch war, so wenig war sie geeignet, Julie ihren Ehemann weniger rätselhaft zu machen. Da hatte er tatsächlich studiert und war trotzdem in seinen alten Beruf als Schwammtaucher zurückgekehrt! Das mochte verstehen, wer wollte. Und doch spürte Julie, wie nah sie einer Lösung des Rätsels war.
Es fehlten nur noch wenige Teile des Puzzles, damit es endlich ein Bild ergab.
Als das opulente Festmahl beendet war, wurden Tisch und Stühle beiseite geräumt.
Ehe Julie begriff, was vor sich ging, hatten einige Männer ihre Instrumente ausgepackt und spielten zum Tanz auf.
Doneus
Weitere Kostenlose Bücher