Kammerspiel: Der fünfte Fall für Rünz (German Edition)
das unbekannte Reich Ihres Unterbewusstseins
zu machen?
Detektiv: Ich
habe kein Unterbewusstsein.
Klient: Alle
Menschen haben eins.
Detektiv: Unsinn.
Sie leiden unter selektiver Wahrnehmung. Weil die Menschen, die auf Ihrer Couch
liegen, eins haben, denken Sie, alle hätten eins. Nur Menschen mit psychischen Problemen
haben ein Unterbewusstsein.
Klient: Hm,
interessante Theorie. Was ist mit Ihrer Exfrau? Hat Sie eins?
Detektiv: Meine Exfrau?
Die hat ausschließlich Unterbewusstsein.
Klient: Gut.
Ich schlage Ihnen einen Deal vor, Karl. Wenn es mir gelingt, Ihnen zu beweisen,
dass auch Sie ein Unterbewusstsein haben, erlassen Sie mir zwanzig Prozent Ihres
Honorars.
Detektiv: Prima!
Und wenn es Ihnen nicht gelingt, legen Sie zwanzig Prozent drauf.
Klient: Einverstanden,
die Wette gilt.
Detektiv: Gut,
legen Sie los.
Klient: Immer
langsam, das funktioniert nicht wie ein Quiz. Sie müssen mir schon ein wenig Zeit
geben. Wir Analytiker sind Langstreckenläufer …
5
Klient: Warum
lassen Sie mich kommen, wenn Sie Welders immer noch nicht ausfindig gemacht haben?
Was ist so wichtig, dass Sie es mir nicht am Telefon sagen können?
Detektiv: Schauen
Sie sich das hier an, Jacques. Ich darf Sie doch Jacques nennen? Natürlich nur so
lange, bis ich Ihren echten Namen kenne.
Klient: Wie
Sie wollen. Lassen Sie mal sehen. Eine Medikamentenschachtel. Cyclosporin, ein Peptid.
Unterdrückt die Immunabwehr. Wahrscheinlich eins der Medikamente, die Welders zur
Immunsuppression nehmen muss. Wo haben Sie die her?
Detektiv: Für
einen Psychologen kennen Sie sich ziemlich gut aus mit Medikamenten.
Klient: Ich bin Psychoanalytiker. Und Mediziner. Also, was wollen Sie mir dazu erzählen?
Detektiv: Ich
habe die Packung bei meiner Besichtigung von Welders’ Wohnung mitgenommen.
Klient: Eines
seiner Medikamente? Sind Sie wahnsinnig?
Detektiv: Beruhigen
Sie sich, Jacques. Die Schachtel war leer, ich habe sie aus seinem Papierkorb gefischt.
Irgendwas an der Packung kam mir komisch vor, aber ich wusste nicht was. Also habe
ich sie eingesteckt. Alter Ermittlerinstinkt. Und? Fällt Ihnen was auf?
Klient: Hm.
Nein. Keine Ahnung, worauf Sie hinauswollen.
Detektiv: Sehen
Sie sich dieses graue Punktmuster an. Kommt Ihnen das nicht komisch vor?
Klient: Mein
Gott, ich kann mich nicht auch noch mit der grafischen Gestaltung von Medikamentenpackungen
beschäftigen. Ich habe Wichtigeres zu tun.
Detektiv: Diese
grauen Punkte sind eigentlich Blindenschrift, Braille. Aber die Punkte ergeben bloß
Sinn, wenn sie aufgeprägt werden, nur dann können sie mit den Fingerspitzen ertastet
werden. Die hier wurden einfach aufgedruckt. Eine Fälschung.
Klient: Warum?
Vielleicht ein billiges Generikum?
Detektiv: Das
unter dem gleichen Namen vertrieben wird wie das Original? Ausgeschlossen. Und die
Kennzeichnung mit Blindenschrift ist heute europaweit vorgeschrieben. Ich habe diese
Packung einem Apotheker vorgelegt. Er hält es für einen Placebo, eines dieser Scheinmedikamente,
die in klinischen Studien eingesetzt werden. Ich habe ein wenig im Web gegoogelt.
Und nach ein paar Minuten hatte ich eine ganze Handvoll Dienstleister aus dem Umfeld
der pharmazeutischen Industrie identifiziert, die für jede Pille oder Tablette,
die man ihnen vorlegt, schnell und günstig eine völlig wirkungsneutrale Kopie herstellt,
die nicht nur exakt gleich aussieht, sondern auch noch im originalgetreuen Blister
inklusive Verpackung steckt. Völlig legal übrigens, sie brauchen nicht mal ein Rezept,
um da ranzukommen.
Klient: Und
einer dieser Dienstleister heißt nicht zufällig HeinerChem Industries? Ich glaube,
Sie werfen Fiktion und Realität mal wieder durcheinander, Karl.
Detektiv: Schon
möglich. Aber stellen Sie sich vor, jemand dringt – vor mir – in Welders’ Wohnung
ein und vertauscht seine komplette Urlaubsration Medikamente gegen diese Placebos.
Klient: Um was
zu erreichen?
Detektiv: Um
ihn auf eine unglaublich raffinierte Art umzubringen! Er entwickelt allmählich Abstoßungsreaktionen
trotz regelmäßiger Medikamenteneinnahme. Und wenn er in ein Krankenhaus kommt, ist
es vielleicht schon zu spät. Eine tragisches, aber nicht ganz ungewöhnliches Schicksal
für einen Herztransplantierten. Niemand schöpft Verdacht, keine äußere Gewalteinwirkung,
keine toxischen Substanzen im Körper, keine Hinweise auf Fremdeinwirkung. Der perfekte
Mord.
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