Kammerspiel: Der fünfte Fall für Rünz (German Edition)
es Welders
vielleicht auch. Vielleicht spielt er gar keine Kriegsspiele auf den Schlachtfeldern
von Verdun. Vielleicht kontaktiert er gerade die Angehörigen des Spenders, um mehr
über die Herkunft der Pumpe in seiner Brust zu erfahren.
Klient: Niemals.
Sie werden bei der Suche genauso wenig Erfolg haben wie er.
Detektiv: Sie
vergessen: Ich habe über zwanzig Jahre bei der Polizei gearbeitet! Haben Sie noch
nie etwas von alten Seilschaften gehört? Oder wie nennt man das heute? Networking?
Jedenfalls gibt sich ›InterTransplant‹ den Strafverfolgungsbehörden gegenüber weit
weniger zugeknöpft als gegenüber Organempfängern.
Klient: Aber
warum der Aufwand? Er hat seine Rückkehr doch längst bei seiner Mutter angekündigt!
Detektiv: Sind
Sie da sicher? Vielleicht hat mir seine Mutter ein hübsches Theaterstück vorgespielt.
Vielleicht weiß sie genau, wo ihr Sohn sich aufhält. Vielleicht hat sie ihm sofort
nach meinem Besuch erzählt, dass ein Schnüffler hinter ihm her ist. Ich habe immer
gerne ein zweites Eisen im Feuer.
Klient: Sie
haben die Information direkt von ›InterTransplant‹?
Detektiv: Ja,
warum? Sie sind etwas blass um die Nase, Jacques. Soll ich ein Fenster öffnen?
Klient: Ja,
bitte. Aber der Spender ist tot, was also soll das Ganze?
Detektiv: Die Spenderin ist tot.
Klient: Er hat
das Herz einer Frau? Das ist unmöglich!
Detektiv: Ich
bitte Sie, Jacques. Als Mediziner sollten Sie wissen, dass Organtransfers zwischen
den Geschlechtern durchaus nicht ungewöhnlich sind.
Klient: Ja und?
Wer war die Spenderin?
Detektiv: Das
kann ich Ihnen leider nicht sagen. Ich würde damit meine Kompetenzen überschreiten.
Wie Sie eben schon sagten: Es ist ja nicht Teil meines Auftrages. Außerdem würde
das Wissen um diese harten Fakten seiner Lebensrealität die analytische Arbeit mit
ihm doch eher stören, wenn ich Sie vor ein paar Tagen richtig verstanden habe! Ich
gebe zu, es war etwas albern, Sie wegen dieser Neuigkeit eigens hierher zu ordern.
Aber ich war wohl einfach zu stolz auf mein Ermittlungsergebnis und wollte es Ihnen
unbedingt mitteilen.
Klient: Mein
Gott, das muss furchtbar gewesen sein für die Familie dieser jungen Frau …
Detektiv: Erwähnte
ich ihr Alter? Egal, Sie haben recht, sie muss relativ jung gewesen sein, sonst
hätte man sie wohl nicht als potenzielle Herzspenderin in Betracht gezogen.
Klient: Furchtbar.
Haben Sie je schwere Verluste erlitten, Karl? Ich meine, von Ihrer Scheidung abgesehen?
Haben Sie je Angehörige verloren?
Detektiv: Meine
Eltern sind bei einem Verkehrsunfall gestorben, als ich Anfang zwanzig war. Mein
Vater war sofort tot, meine Mutter hat noch einige Tage überlebt im Krankenhaus.
Klient: Waren
Sie bei ihr, als sie starb? Was empfanden Sie?
Detektiv: Ich
weiß nicht – Sie sind vielleicht geschockt, wenn ich Ihnen das erzähle.
Klient: Ich
bitte Sie, ich bin Analytiker. Mir ist nichts Menschliches fremd. Manchen meiner
Patienten steigen auf der Couch die Freudentränen in die Augen, wenn sie vom Tod
ihrer Eltern erzählen.
Detektiv: Ich
fand es irgendwie technisch und banal. Sie lag da, mit all diesen Schläuchen verbunden,
über ihr der Monitor, der ihren schwächer werdenden Puls und was weiß ich für Biodaten
anzeigte, neben mir der junge, unerfahrene Arzt mit betretenem Gesicht – es erschien
mir alles so unwirklich. Es kostete mich Überwindung, Erschütterung und Trauer zu
simulieren, aber ich denke, es wurde von mir erwartet. Dabei fühlte ich mich eher,
als hätte ich ein altes Auto in die Werkstatt gebracht und erführe vom Meister,
dass eine Reparatur keinen Sinn mehr hat. Aus Ihrer professionellen Sicht ist das
sicher kein angemessener Umgang mit dem Tod. Oder?
Klient: Wenn
eine allgemeingültige Gebrauchsanweisung für den Umgang mit dem Tod von Angehörigen
existiert, dann habe ich sie noch nicht entdeckt.
Detektiv: Seltsam,
wenn ich heute drüber nachdenke … Damals fragte mich niemand, ob ich ihren Körper
für eine Organspende freigebe. Ich stelle mir das sehr schwierig vor, so eine Entscheidung
zu treffen, in dieser Situation …
Klient: Warum
schauen Sie mich so seltsam an, während Sie mir diese Geschichte erzählen, Karl?
Detektiv: Seltsam?
Wie meinen Sie das, Jacques?
Klient: Als
wollten Sie meine Reaktion auf Ihre Schilderung beobachten. Normalerweise sind Menschen,
die etwas sehr Persönliches aus ihrer Biografie
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