Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kammerspiel: Der fünfte Fall für Rünz (German Edition)

Kammerspiel: Der fünfte Fall für Rünz (German Edition)

Titel: Kammerspiel: Der fünfte Fall für Rünz (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Gude
Vom Netzwerk:
aufgedröselt werden mussten: Ist mein
Arzt wegen mir so fertig? Habe ich ihn in der letzten Sitzung gekränkt oder verletzt?
Hat er die ganze Nacht über mich nachgedacht – seinen anspruchsvollsten und schwierigsten
Patienten? Ist er verzweifelt und deprimiert über den ausbleibenden Behandlungserfolg?
Muss ich mich noch mehr anstrengen?
    Mitunter
staunte Antolini über die kalte Berechnung in dem Spiel, das er mit O trieb. Bereitete
ihm sein perfider Plan Gewissensbisse? Ein wenig schon. Aber sie schwanden, je bedrohlicher
sein körperlicher Zustand wurde. Die Diagnose hatte innerhalb von Wochen zehn Millionen
Jahre Evolution rückgängig gemacht; ihn von einem aufgeklärten, kritischen Intellektuellen
in ein krankes Säugetier verwandelt, das nur noch ein Ziel kannte: Überleben. Und
er hatte dieser Verwandlung nicht einmal großen Widerstand entgegenzusetzen. Ab
und an regten sich die Rudimente seines Über-Ichs. Er erwischte sich dann dabei,
eine moralische Gewinn-Verlust-Rechnung aufzustellen. Wer mehr als dreißig Menschen
vor dem Suizid bewahrt hatte, dem konnte doch niemand einen Vorwurf machen, wenn
er einen Menschen … Hinter einer der Wohnungstüren scharrte es. Antolini zuckte
zusammen. Hatte er wieder Selbstgespräche geführt, wie am Morgen in der Schlange
an der Supermarktkasse? Er musste sich zusammenreißen. Krankheit und Alter machten
aus Erwachsenen wieder Kinder. Spontane, gefühlsgesteuerte Wesen, die nicht darüber
nachdachten, was sie erzählten.
    Er musste weiter. Zwanzig
Stufen noch. Zwei Etappen. Auf dem Absatz gönnte er sich wieder eine Auszeit.
Zwanzig Jahre zuvor war er diese Treppe als leidenschaftlicher und begeisterter
Junganalytiker hochgestürmt – heute mangelte es ihm dafür nicht nur an körperlicher
Kraft, sondern auch an professionellem Idealismus. Antolini war während der
Sitzungen mit O geradezu schockiert darüber gewesen, wie leicht sich die
gemeinsame analytische Arbeit, die im allgemeinen Symptome linderte und die
Befindlichkeit des Patienten besserte, in eine destruktive Richtung leiten
ließ. Entgegen anfänglicher Befürchtungen hatte er bei den Sitzungen mit O zu
keinem Zeitpunkt das Gefühl gehabt, aktiv manipulieren zu müssen. Meist waren
nur winzige Justagen am analytischen Handwerkszeug nötig gewesen, um den
Erkenntnisprozess des Analysanden auf völlig neue, verhängnisvolle Wege zu
bringen. War die Psychoanalyse per se eine Heilmethode? Antolini
hatte während der Arbeit mit O den Glauben daran verloren.
    Er schaffte
die zwanzig Stufen ohne Zwischenstopp auf dem Treppenabsatz. Ein kleines Wunder.
Als ahnte sein krankes Herz, dass es hier um alles oder nichts ging, mobilisierte
es die letzten Reserven. Er erreichte die Tür seiner Praxis und schaute auf seine
Armbanduhr. Noch sechs Minuten. Antolini fingerte den Schlüsselbund aus seiner Hosentasche,
schloss auf, schleppte sich durch die Diele zu dem kleinen Toilettenraum, spritzte
sich kaltes Wasser ins Gesicht und trocknete sich ab. Noch vier Minuten. Er ging
zum Behandlungszimmer, legte ein frisches Papiertuch über das Kopfkissen auf der
Couch, ließ den Rollladen herab und dimmte das Deckenlicht so weit herunter, bis
der Raum wirkte wie von Kerzen illuminiert. Ganz so, wie O es bevorzugte. Dann hörte
er Os Schritte im Treppenhaus.

Zweiter Akt

1
     
    Detektiv: Mal
wieder einen Kleinen zum Einstieg heute, Jacques? Mein Bessunger Händler hat mir
diesen Bruichladdich von den Inneren Hebriden besorgt. Hmmm, ein Aroma, als würde
man in einen rauchenden Torfballen beißen.
     
    Klient: Nein.
Danke. Heute bitte nicht. Ich hoffe, Sie können mir endlich etwas Handfestes auf
den Tisch legen. Haben Sie neue Ergebnisse? Hat seine Mutter sich bei Ihnen gemeldet?
     
    Detektiv: Wirklich
keinen Drink? Ich bin sicher, Sie werden einen brauchen.
     
    Klient: Sie
haben eine heiße Spur von Welders?! Ist er wieder bei seiner Mutter?
     
    Detektiv: Nein
und nein. Aber ich habe eine Spur von seinem Organspender.
     
    Klient: Ich
habe Sie nicht für die Suche nach dem Spender engagiert.
     
    Detektiv: Manchmal
kommt man über Umwege zum Ziel. Und ich hatte keine Lust, untätig herumzusitzen,
bis Welders zufällig wieder auftaucht. Er sucht die Identität seines Spenders, so
viel wissen wir. Und er hat sicher nicht viel länger als ich gebraucht, um diesen
Brief als Fälschung zu entlarven. Er ist also höchstwahrscheinlich immer noch auf
der Suche. Wenn ich die Identität dieses Unglücklichen lüften kann, gelingt

Weitere Kostenlose Bücher